Die Zukunft der Berlinale: Gebt uns eine Doppelspitze
Alle sind glücklich mit der Berlinale. Wirklich alle? Nein, die Filmkritik hat scharfe Einwände.
BERLIN taz | Dieter Kosslick, seit Mai 2001 Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin, hatte im Frühjahr zugesagt, an einem Symposium des Verbands der Deutschen Filmkritik zur Gegenwart und Zukunft der Berlinale mit dem Titel "Was kommt nach den Verrissen?" teilzunehmen. Kurz vor der Tagung kam die Absage, mit Verweis auf den vermeintlich offen feindseligen Ankündigungstext der Veranstaltung. So wurde letzten Donnerstag im Filmhaus am Potsdamer Platz dann nur über die, nicht mit der Berlinale diskutiert.
Was dann ein Vorteil hätte sein können, wenn dem vielfach monierten "fehlenden Profil" des inzwischen auch bei der internationalen Presse in Verruf geratenen wichtigsten deutschen Festival ein klares Profil der Berlinale-Kritik entgegengehalten worden wäre. Stattdessen wurde einerseits das Ausufern in immer neue Nebensektionen kritisiert, andererseits aber jede einzelne dieser neuen Sektionen wieder verteidigt, ein bisschen sogar das "kulinarische Kino", das fast schon zum Emblem der Ära Kosslick geworden ist. Und selbst die eigentlich indiskutable Politik Kosslicks der "Synchronisation der Sektionen", die vor allem dem Internationalen Forum des jungen Films in den letzten Jahren den Zahn gezogen hat, hatte ihre Fürsprecher - zumindest implizit, in der Rede von den Kräften, die auch weiterhin gebündelt werden sollten.
Die einzige halbwegs mehrheitsfähige Forderung - die allerdings auch nicht unwidersprochen blieb - war die nach einer "Doppelspitze": Dem als Kulturimpressario zweifellos begabten, aber mit nicht allzu viel Sensibilität für das Kino selbst belasteten Kosslick solle ein künstlerischer Leiter beiseite gestellt werden; am besten einer vom Schlage eines passionierten Cinephilen wie Marco Müller, unter dessen Leitung die Internationalen Filmfestspiele von Venedig in den letzten Jahren zum vielleicht interessantesten Filmfestival überhaupt avanciert sind.
Was bleibt sonst von der Veranstaltung? Roman Pauls elegantes Parlieren aus Marktperspektive vielleicht. Für den Vertreter der Produktionsfirma Razor Films ("Paradise Now", "Waltz with Bashir") läuft alles super mit der neuen Berlinale, die einen Draht zur Branche hat und weiterhin ein guter Ort ist, um einen neuen Film zu "platzieren". Dana Linssen von der niederländischen Filmzeitschrift Filmkrant gab die enthusiastische Agitatorin und forderte ihre deutschen Kollegen zur Revolte auf: "Take over the Berlinale!"
Revolutionsstimmung wollte trotzdem nicht aufkommen, aber bis zum Festival sind ja noch ein paar Monate Zeit. Zwischendurch wurden immer wieder neidische Blicke nach Cannes geworfen - oder auch ins südkoreanische Pusan, wo zuletzt ein gigantischer Filmpalast mit 4.000 Sitzplätzen eröffnet wurde.
Die Gegenwart der Berlinale war abwesend, über die Zukunft der Berlinale wird aller Voraussicht nach andernorts entschieden - derzeit laufen Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit Kosslick, an deren erfolgreichem Abschluss niemand zweifeln wollte; immerhin war im letzten Veranstaltungsteil die Vergangenheit nicht der Berlinale selbst, sondern des Forums anwesend (im Publikum, nicht auf dem Podium), in Gestalt von dessen Gründer Ulrich Gregor und seiner Frau Erika. Erika Gregor war es auch, die als Einzige eine Perspektive auf das Filmfestival eröffnete, die sich nicht im ewigen Gegensatz von Kunst und Geld erschöpft.
Sie erzählte, wie die Forumskuratoren vor 1989 Jahr für Jahr die osteuropäischen Staaten bereisten, um deren Kinematografien zu sichten und dem Westberliner Publikum zugänglich zu machen. Die Gregors betrachteten das als eine moralische Verpflichtung nicht nur gegenüber dem Kino, sondern auch gegenüber den Ländern, die im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Aggression zu leiden hatten. Ihre Sätze wirkten wie Fremdkörper, wie Spuren einer Zeit, in der es bei der Frage nach den richtigen Filmen noch ums Ganze ging.
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