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Die Zeitung als Kunstwerk

Abenteuer muss nicht teuer sein: Von Touristen ungelesen, von Zeitungskünstlern gemacht. Die Kiezzeitung „scheinschlag“ wird zehn Jahre alt. Chronik einer sehr freien Mitarbeit

Nicht wie Zeitungen wirkten viele Ausgaben, sondern wie edle, sorgfältig komponierte Kataloge einer interessanten Zwischenwelt im Graubereich von Journalismus und Literatur

von FALKO HENNIG

Ich machte damals den Taxischein, es war 1993, ich fuhr immer durch die Tucholskystraße nach Schöneberg, wo die Taxifirma residierte, und kam also dort jede Woche an dem Haus vorbei, in dem in den typisch falschen Frakturbuchstaben „scheinschlag“ stand.

Meine letzten Veröffentlichungen lagen Jahre zurück, als ich noch ein vielleicht noch etwas obskureres Blatt redigierte, die Studentenzeitung UnAufgefordert von der Humboldt-Uni. Der scheinschlag war mir aufgefallen, einmal durch seinen Inhalt, der sich wohltuend von den meisten Zeitungen unterschied, aber mehr noch wegen seines Layouts. Da waren richtige Künstler am Werk und es war in Duoton gedruckt. Nicht wie Zeitungen wirkten viele Ausgaben, sondern wie edle, sorgfältig komponierte Kataloge einer interessanten, sonst nicht beachteten Zwischenwelt im Graubereich von Journalismus und Literatur.

Ein paar Mal also war ich schon an der Redaktion vorbeigefahren, irgendwann parkte ich meinen Kübeltrabbi und fragte nach, ob ich nicht was für sie schreiben könnte. Und das war dann wohl ein noch größerer Unterschied zu üblichen Zeitungen, keine Sekretärin wimmelte mich ab, keine fanatischen konzentrierten Gesichter starrten auf die Bildschirme, stattdessen fragte mich ein netter Langhaariger aus, ich bot die Rezension eines Berlin-Stadtführers an, und irgendwann gab ich sie dort ab.

Tatsächlich wurde sie gedruckt. Und dann verwirklichte sich, nun wirklich ab Mitte 94, ein Traum: Mit der Ausgabe vom März begann eine, bis jetzt ununterbrochene Serie, Berlin 1894, die ähnlich, inzwischen auf Berlin 1900 verjüngt, dort noch immer zu lesen ist. Bezahlung gab es am Anfang gar nicht, ich war froh über Anzeigen, die sie von mir abdruckten, ich bot nebenbei Stadtrundfahrten im Kübeltrabbi an. In der jeweiligen Anzeige war dann ein Bild des Autos zu sehen mit dem Text: „Abenteuer muss nicht teuer sein!“, oder „Alle Menschen sind Touristen, fast überall!“, darunter stand EastSideSeeing und meine Telefonnummer.

Es war völlig idiotisch, eine Kiezzeitung wurde nun einmal nicht von Touristen gelesen. Eher bekam ich Fahrgäste dadurch, dass ich mit einem Schild Unter den Linden stand. Ich erklärte den Passagieren die Stadt, so gut ich konnte, fuhr um den Kollwitzplatz herum, auf dem ein bronzenes Ungetüm stand, ich sagte: „Die Trinkerin, das Denkmal heißt Die Trinkerin.“ Oder auf Englisch: „The Drinking Woman Memorial“, und die Touristen nicken beeindruckt von der Tiefe der Empfindung und dem Elend, das in dem anklagenden Metallblock zum Ausdruck kam. Oder auf dem Großen Stern um die Siegessäule herum: „Hier die Siegessäule, die stand früher vor dem Reichstag. Hitler hat sie hierher gestellt.“ „Aha“, sagte die Oma aus Westdeutschland, „steht aber auch nicht schlecht hier.“

Aber richtiges Geld war damit nicht zu verdienen. Meine Werbekampagne wurde aberwitzig, die Werbetexte wurden immer wilder, so wie der Kübeltrabbi auch immer schlimmer aussah, das Verdeck hatte große Dreiangel, durch die das Regenwasser auf die Sitze lief, der Beinraum füllte sich mit Unrat, Katzen und Betrunkene pinkelten hinein. Ich entwarf einen neuen Annoncentext: „Let drive the car like a percussion instrument untill your fingers begin to bleed a bit.“ Manchmal fragten mich Leute vorsichtig, die es gut mit mir meinten: „Sollte man nicht wenigsten ahnen können, WOFÜR es Reklame ist?“ Das traf mich ziemlich.

Heute steht der Kübeltrabbi in einer besetzten Garage und kann jeden Moment auf meine Kosten entsorgt werden, für den scheinschlag schreibe ich noch immer, und manchmal habe ich das Gefühl, das werde ich auch weiter tun, solange ich es mir leisten kann.

Anlässlich des Jubiläums veranstaltet der scheinschlag zwei Podiumsdiskussionen im Theaterhaus Mitte, Koppenplatz 12, jeweils ab 19 Uhr. Heute zur Frage „Weniger Häuptlinge, mehr Indianer – gibt es eine Bürgerbeteiligung nach der Bezirksfusion?“ – und morgen: „Medien – Vordenker oder Nachbeter der Stadt?“

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