KOMMENTAR: Die Würde zurückgegeben
■ Die Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« ist zu Ende
Gestern ging die Ausstellung Jüdische Lebenswelten zu Ende. 350.000 Gäste haben die kostbaren Handschriften bestaunt und ließen sich von der Bildern des Synagogenmalers Issachar Ryback rühren. Zum ersten Mal im Nachkriegsdeutschland war eine Schau zu sehen, die den ganzen Kosmos jüdischen Denkens, Lebens, Arbeitens und den verbindenden Glauben in den verschiedenen Epochen und unterschiedlichen Kulturen entfaltete. Zum ersten Mal war es möglich, sich diesen Lebenswelten zu nähern, ohne daß die Bilder der Todes- und Tötungswelten den Besucher so befangen machten, daß alle Neugierde in Scham erstickte. Wenn künftig Schulklassen zum Mahnmal am S-Bahnhof Grunewald fahren, werden sie nicht nur die Juden als Opfer sehen, sondern sich auch erinnern, daß Unmenschlichkeit die Welt arm macht. Diese Ausstellung hat, weil sie jüdische Menschen zum Subjekt und nicht zum gedemütigten Objekt von SS-Männern machte, den Juden ihre Würde zurückgegeben. Gemessen daran, ist die Kritik, es sei nur das assimilierte Judentum zu sehen gewesen, nebensächlich. Ob diese Ausstellung der Beginn eines neuen Verhältnisses zwischen Juden und Nichtjuden war, kann sich erst zeigen. Indizien sprechen dafür. Vor allem am Rahmenprogramm — 115.000 Besucher — zeigte sich, wie groß das Interesse an jüdischer Kultur ist. Das Erstaunlichste dabei: Ein völlig neues Publikum fand sich ein. Gekommen waren nicht nur die Stammgäste — die Juden selbst und die Philosemiten —, sondern Jugendliche mit grünen Haaren und löchrigen Jeans. Also genau die, die gegen den Golfkrieg demonstrierten, die israelische Politik gegenüber den Arabern grausam finden und deren Protest gern als antisemitisch abqualifiziert wird. Und diese Mischung, heute Klezmer-Klänge oder Hilsenrath-Lesung, morgen eine Demonstration gegen die Besiedlung der Westbank und übermorgen eine Felafel im jüdischen »Beth-Café« oder »Oren«, macht Hoffnung. Da zeigt sich eine Unbefangenheit gegenüber Juden, die mit Unwissen nichts zu tun hat, sondern viel mit Neugier und Offenheit. Vielleicht entsteht so ein Klima, in dem jüdisches Leben — mitten in Deutschland und nicht in Abgrenzung dazu — selbstverständlich wird. So gesehen, werden vielleicht einmal die Jüdischen Lebenswelten als eine Art Wendepunkt im deutsch-jüdischen Verhältnis in die Geschichtsbücher eingehen. Anita Kugler
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