: Die Wonnen der „Fäkalsprache“
■ Oldenburger Abonnenten rumoren gegen den neuen Intendanten Stephan Mettin
In der Loge im ersten Rang des Oldenburgischen Staatstheaters sitzt seit fünf Monaten jeden Abend der selbe Zuschauer. „Ich habe nur dreimal geschwänzt“, sagt Stephan Mettin. Der neue Generalintendant hat sich für seine erste Spielzeit Dauerpräsenz verordnet. Nicht um die Arbeit auf der Bühne zu kontrollieren, beteuert er. Vielmehr betreibe er Publikumsbeobachtung.
Provozieren hat er mit seinem ersten Spielplan gewiß nicht gewollt, sagt er. „Der Mensch und die Familie“, so lautete das Allerweltsmotto seiner Stückauswahl, Aber nach einem furiosen Start mit Aribert Reimanns Oper „Lear“ in einer Inszenierung des international gefragten schwedischen Erneuerers Claes Fellbom erlebte Mettin das, was er vorsichtig seine „erste Enttäuschung“ nennt.
Edward Bonds „Gerettet“, vor fast dreißig Jahren Zündstoff für heftige Diskussionen, verprellte Teile der „ehernen Stützen“, wie Mettin die über 8.000 Abonnenten seiner Bühne nennt. Diese „Fäkalsprache“ habe im Theater nichts zu suchen, hieß es in Briefen, die er erhielt, und in einem öffentlichen Gespräch mit Theaterbesuchern. Am vehementesten äußerten sich ältere Stammbesucher, die keinen Hehl daraus machten, daß sie die Aufführung überhaupt nicht gesehen hatten.
Dem Intendanten liegt die Publikumsbeschimpfung aber fern. Der 43jährige begnügt sich mit einem Appell für „mehr Kritikbereitschaft“. Auch was die „zweite Kontroverse der Spielzeit“ betrifft, wie er es nennt: eine „Aida“, in der statt der alten Ägypter „aktuelle Probleme“ auf die Bühne kamen.
Auf der anderen Seite melden sich bereits jene zu Wort, die Gegenwartsstücke und Zeitkritisches vermissen. Auch diese sucht Mettin zu besänftigen: Er wolle „keine Kluft zwischen den Progressiven und dem Staatstheater“, sagt er und verspricht allen zusammen, daß sie „in drei Jahren meine Richtung erkennen können“.
Und wenn der Blick des Publikumsbeobachters von den gelegentlich gelichteten Abonnenten-reihen auf die preisgünstigen Plätze im zweiten und dritten Rang fällt, kann er zufrieden feststellen: „Der Freiverkauf steigt.“
Mettin will weiterhin die Positionen der Oberspielleiter für Musik und Schauspiel unbesetzt lassen und stattdessen Gastregisseure anheuern. Er selber will in seiner ersten Spielzeit nur einmal die Regie übernehmen, und zwar bei Eugene O'Neills Stück „Trauer muß Elektra tragen“ . Diese Inszenierung wird nach einem russischen (Gorkis „Wassa Schelesnowa“), einem englischen (Bond „Gerettet“) und einem französischen (Serreaus „Hase“) der amerikanische Beitrag zur Reihe über das Familienleben sein. K arin Güthlein (dpa)
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