: Die Wirtschaft fürchtet einen Pilotabschluß
■ Arbeitgeberpräsident Murmann will niedrigere Tarifabschlüsse als im öffentlichen Dienst/ Metallarbeitgeber sehen „kaum Spielraum“
Bonn/Baden-Baden (ap/afp) — Die gewerbliche Wirtschaft wird nach den Worten von Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann alles daransetzen, daß ihre Abschlüsse der Tarifrunden auf jeden Fall niedriger ausfallen als das noch ausstehende Ergebnis im öffentlichen Dienst. Murmann sagte am Donnerstag vor Journalisten in Bonn: „Was immer die Zahl wird, sie kann, wird und muß von der gewerblichen Wirtschaft unterschritten werden.“
Der öffentliche Dienst könne keine Pilotfunktion haben, da bei einem zu hohen Abschluß in der Wirtschaft Inflation und Arbeitsplatzabbau drohten. Eine Obergrenze nannte der Präsident nicht.
Murmann sagte zum Streik: „Ein unvernünftiger und unvertretbarer Schiedsspruch, der nach politischer Opportunität schielte und die Finanzlage der öffentlichen Hände außer acht läßt, hat diesen Arbeitskampf verursacht.“ Streiks in Krankenhäusern seien „zynische Machtdemonstrationen“, die deutlich machten, daß es im öffentlichen Dienst eine Schieflage der Tarifautonomie gebe. „Die Waffenungleichheit der Quasi- Tarifparteien macht den Bürger zur Geisel, mit der unvernünftige Forderungen durchgesetzt werden.“
Die Bürger seien aber nicht nur die Opfer des Streiks, sie müßten dafür letztendlich auch zahlen, sagte Murmann. In der Wirtschaft dagegen seien die Arbeitsplätze weder unkündbar, noch würden sie vom Steuerzahler finanziert. „In der gewerblichen Wirtschaft kosten Lohnabschlüsse in unvernünftiger Höhe Arbeitsplätze.“ Bei zu hohen Abschlüssen seien weitere 200.000 Arbeitsplätze oder mehr in diesem Jahr gefährdet. Auch erhöhe jeder Prozentpunkt Lohnzuwachs, der über dem Produktivitätszuwachs — der mit rund zwei Prozent angegeben wird — liege, die Inflationsrate um 0,7 Prozentpunkte, sagte Murmann. Die Abschlüsse im benachbarten Ausland lägen erheblich unter deutschem Niveau. Überzogene Abschlüsse träfen vor allem die ohnehin hart bedrängten kleinen und mittleren Betriebe, die die Masse der Arbeitsplätze stellten.
Murmann appellierte an die Tarifparteien im öffentlichen Dienst, schleunigst ihren „Scherbenhaufen“ wieder zu beseitigen. Auch für die Metallarbeitgeber könne der öffentliche Dienst keine Vorbildfunktion haen, sagte ihr Vorsitzender Hans- Joachim Gottschol. Es gebe „kaum noch Spielraum“ bei den Tarifverhandlungen. „Wir sind mit unserem Angebot von 3,3 Prozent schon erheblich über unseren Schatten gesprungen“, meinte Gottschol. Gottschol verwies auf den Produktivitätszuwachs der Branche von etwa 1,5 bis 2 Prozent. „Wer mehr gibt, muß wissen, daß er damit die Inflation anheizt und Arbeitsplätze vernichtet.“ Bei einem überhöhten Tarifabschluß drohe Inflation und weitergehender Stellenabbau. Bereits die Abschlüsse des vergangenen Jahres hätten in der Metallindustrie zum Abbau von über 75.000 Arbeitsplätzen geführt. Die Warnstreiks in der westdeutschen Metallindustrie wurden gestern fortgesetzt. Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Bezirk Hannover und nordwestliches Niedersachsen gingen in die vierte Runde. Ergebnisse wurden dabei nicht erwartet.
Am Mittwoch waren die Verhandlungen für die insgesamt 230.000 Beschäftigen West-Berlins und Rheinland-Pfalz' ohne neue Terminvereinbarung abgebrochen worden. Bereits am Vortag hatten sich die Tarifparteien in den Bezirken Nordwürttemberg/Nordbaden, Bayern und Saarland ohne Annäherung getrennt. Die IG Metall fordert für die Beschäftigten der westdeutschen Metallindustrie Einkommensverbesserungen von 9,5 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen