DIE FDP ENTDECKT IHR HERZ FÜR DEN SOLIDARITÄTSZUSCHLAG: Die Wende der Wende der Wende einleiten
Es gibt ein wunderbares Foto, das eine Zeitung aus dem Umfeld von Cornelia Pieper, der künftigen FDP-Generalsekretärin, abdruckte. Es zeigt den sympathischen Kaufmannsladen ihres Ehemannes in Halle-Südstadt. Klein, unscheinbar und verloren in einer Gegend grau-brauner Tristesse. Mit diesem Bild im Kopf kann es nun wahrlich nicht mehr verwundern, dass Frau Pieper ihre Stimme erhoben hat und ruft: Der Solidaritätszuschlag muss bleiben!
Dass ihr niemand in der Führung der Bundespartei so recht widerspricht, war vorauszusehen. Hat doch die FDP noch jeden Etikettenwechsel vollzogen, um irgendwie in den Parlamenten zu bleiben: Partei der Besserverdienenden (Westerwelle), Partei für das Volk (Westerwelle), Volkspartei (Möllemann). Nun also will man ein Stück weit wieder die Partei des Solidaritätszuschlags (Pieper) sein. Erstaunt? Das sollte niemand sein. Vor einigen Monaten erst entdeckte Westerwelle sein Herz für das Soziale. So war es also nur eine Frage der Opportunität, bis man sich der Solidarität auch noch erinnerte. Natürlich: Um den Bogen nicht ganz zu überspannen, sucht man die überzeugten Neoliberalen, die es bei der FDP ja auch geben soll, mit einem Wechselschein zu trösten: Der Solidaritätszuschlag falle, sobald ein steuerliches Gesamtkonzept möglich sei! Das kommt sicherlich und bald – so gewiss wie Möllemanns 18-Prozent-Partei.
Man darf getrost annehmen, dass Frau Pieper ihren liberal-revolutionären Vorschlag mit Westerwelle abgestimmt hat. Der nächste Parteichef ist wenig zimperlich, wenn es darum geht, die FDP im Geschäft zu halten. Da kommt ihm Frau Pieper gerade recht. Und auch sie denkt natürlich nicht nur allein an den darbenden Osten. 2002 sind in ihrer Heimat Sachsen-Anhalt Landtagswahlen. Dort soll die Wiederauferstehung der Ost-Liberalen gefeiert werden. Einst, nach der Wende, hatte Hans-Dietrich Genscher, gebürtiger Hallenser, seiner Partei Ergebnisse eingefahren, die heute wie Kunden aus einem Märchenland klingen. Danach ging es schnell bergab, auch weil die Partei gekonnt an fast allem vorbeiredete, was den Ost-Bürger bewegte. Nur in manchen Kommunen blieb sie präsent – meist dann, wenn sie sich möglichst fern der Vorgaben der westlich geprägten Bundeszentrale hielt.
Mit Pieper könnte die Wende der Wende der Wende eingeleitet werden. Nicht nur im Osten, sondern bundesweit. Denn wer den Solidaritätszuschlag verteidigt, der dürfte auf ein verständnisvolles Zwinkern der SPD hoffen. So fügt sich eines zum anderen. Pieper kämpft für sich und ihren Osten, und Westerwelle mit ihr für sein Hauptziel: einen Sitz im Bundeskabinett. SEVERIN WEILAND
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