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Die WahrheitZum Kotzen schönes Täschchen

Hartmut El Kurdi
Kolumne
von Hartmut El Kurdi

Einst gab es Dinge, die nur für einen einzigen und sei es auch völlig abseitigen Zweck erworben und eingesetzt werden konnten.

I n der romantischen Komödie „Prime“, die auf Deutsch den beschrubbten Titel „Couch-Geflüster“ trägt, spielt Uma Thurman eine 37-jährige Frau, die eine Affäre mit einem 23-jährigen Mann hat. Als sie sein Alter erfährt, sagt sie: „O mein Gott, du bist ein Kind. Ich hab T-Shirts, die sind älter als du!“

Mit zunehmendem Alter besitzt man tatsächlich immer mehr alten Kram: Schlüssel zu ehemaligen Wohnungen, kaputte Mehrfachsteckdosen, die man ganz sicher nochmal reparieren kann, Fünfeinviertelzoll-Diskettenlaufwerke – oder eben alte unansehnliche T-Shirts.

Inzwischen habe ich den T-Shirt-Satz in anderen Filmen auch schon in Variationen gehört, zum Beispiel mit Unterhosen. Schriebe ich ein Rom-Com-Drehbuch, schöpfte ich aus meinem eigenen Leben und würde die Hauptfigur sagen lassen: „Ich habe eine Kopfhöreraufbewahrungstasche, die ist älter als du.“

Dieses real existierende Täschchen stammt nämlich aus dem Jahr 1989 und trägt die fast verblichene Aufschrift: „Telehospital“. Ich war damals wegen einer Lebensmittelvergiftung respektive stundenlangen Erbrechens in die Städtischen Kliniken Hildesheim eingeliefert worden. Die Kotzerei begann ausgerechnet dann, als ich auf einer Kleinkunstbühne im ländlichen Raum Menschen unterhielt. Im Krankenhaus stoppte man meinen Brechreiz relativ schnell medikamentös, ließ mich aber – es gab ja noch keine Fallpauschalen – vier weitere Tage sinnlos herumliegen. Also schaute ich fern.

Dazu musste ich mir allerdings einen „Druckluft-Kopfhörer“ für den sich am Bett befindlichen Mini-TV-Bildschirm kaufen. Bis heute ist mir diese Technik nirgendwo anders untergekommen. Das Ding kostete 15 D-Mark – viel Geld angesichts der Tatsache, dass man das pneumatische Kuriosum für nichts anderes und damit nie wieder benutzen konnte.

Aber immerhin: Das Täschchen, in dem man den Kopfhörer geliefert bekam, bestand aus gutem, zähen, widerstandsfähigen 20.-Jahrhundert-Nylon, selbst der Reißverschluss war für eine jahrtausendelange Nutzung konzipiert. Und die Farbe war von Anfang an so eklig – irgendwo zwischen einem schmuddeligen Seafoamgreen und einem infektiösen Nasennebenhöhlentürkis –, dass der langsame zeitbedingte Farbintensitätsverlust auch wieder wurscht war.

In jedem Jahrzehnt verändere ich die Nutzung des hässlichen Täschchens: Mal trage ich darin Stifte durch die Gegend, mal Gitarrenkrimskrams zu Auftritten, zurzeit dient es mir als Miniatur-Kulturbeutel. Und jedes Mal, wenn ich es anschaue, denke ich an diesen einen magenentleerenden Auftritt im Kulturgut Heiningen.

Ich befürchte allerdings, dass sich die Menschen, die damals dort in der ersten Reihe saßen, auch ohne Täschchentrigger immer mal wieder an diesen Abend erinnern. Eigentlich habe ich diese Kolumne nur geschrieben, um ihnen nochmals zu sagen: Es tut mir aufrichtig leid!

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Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
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