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Die WahrheitDie Verkasematucklerin

Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Katherina „Rapunzel“ Reiche, Bundeswirtschaftsmini.

Scheiche reimt sich nicht umsonst auf Reiche Foto: dpa

Das Geheimnis einer funktionierenden Wirtschaft ist eine Ökonomie, die funktioniert! Blühende Unternehmen, brummende Konzerne und ein strotzfester Mittelstand: Das sind die vier Standbeine einer funktionablen Ökonomie als funktionibler Wirtschaft in einer funktionoblen Gesellschaft auf der Basis des Privateigentums an Produktionsmitteln zur Ausbeutung der lohnabhängigen Werktätigen durch die Kapitalisten mit dem Ziel der Profitmaxi – hoppla! Da sind wir wohl vom Weg abgekommen, den unsere verehrten Wirtschaftsminister seit 1949 abgrasen. Beißen wir schnell den Faden ab!

Richtig heißt es: mit dem Ziel überschwappenden Reichtums und der ewigen Dauer. Exakt so brachte es Adam Smith auf den Punkt, als er vor 249 Jahren dem Kapitalismus schöne Beine machte und den „Wohlstand der Nationen“ in freien Rhythmen bedichtete. Im 20. Jahrhundert war es dann der Adam Smith Deutschlands, Ludwig Erhard, der die soziale Marktwirtschaft in lyrischen Versen besang und den „Wohlstand für alle“ mit volltönenden Zahlen zum Schwirren brachte.

Allerdings war das bloß die halbe Wahrheit, denn Erhard, so dick er auch war, füllte nur das halbe Deutschland aus. Im anderen, hinten gelegenen Teil unseres geliebten Vaterlandes glaubte man es besser zu wissen: Statt jene kristallglatte Beweisführung zur Kenntnis zu nehmen und zu apportieren – verstaatlichte man munter drauflos. Welcher Kapitalist nicht bei drei in den sonnenbeschienenen Westen geritten war, durfte im besten Fall als Angestellter in seinem früheren Betrieb weiterwursteln. So auch Klaus Reiche in seiner volkseigenen Firma Hesco, in der Kunststoff zu Plaste verkasematuckelt wurde.

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Die Wahrheit

hat den einzigartigen täglichen Cartoonstreifen: ©Tom Touché.

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hat drei Grundsätze:

Warum sachlich, wenn es persönlich geht.

Warum recherchieren, wenn man schreiben kann.

Warum beweisen, wenn man behaupten kann.

Deshalb weiß Die Wahrheit immer, wie weit man zu weit gehen kann.

Womit wir uns endlich der Gegenwart nähern – und bis auf Zentimeter sogar Katherina Reiche! Denn nach dem Umsturz bekamen die Reiches ihren Besitz wieder in die Finger, und Katherina musste sich als Sprössling der Ausbeuter- und Kapitalistenklasse nicht wie ein Sträfling unten einsortieren und Baggerfahrerin für die SED werden, sondern machte fein Abitur und studierte chic Chemie, immer mit einem Auge auf der modernen Verkasematuckelung von Plaste zu Kunststoff.

Schon mit 19 Jahren war sie passgenau zur Jungen Union gestiefelt und dockte mit 23 bei der erwachsenen CDU an. Lohn der Tat: 1998, mit weichen 25, das Studium war eben fertig gestrickt, fand sie sich, statt in der elterlichen Fabrik mit neumodischen Polymeren und schreiend bunten Makromolekülen zu jonglieren, plötzlich im Bundestag wieder. Was nun?

Reiches persönlicher Reparaturbeitrag

Die Brandenburger Zweigniederlassung der CDU hatte sie auf der Landesliste zu weit oben postiert, aber sie machte das Beste daraus und bekam erst mal ein Kind. Das war neu in der CDU, zumal sie völlig unverheiratet war! Beiden Kirchen sträubte sich das Hirn, und vollends leerte es sich, als Reiche sogar im Bundestagsausschuss für Familienpolitik eingewurzelt wurde. Und drei Jahre später ein zweites Kind hervorbrachte – ehe sie endlich klein beigab und heiratete. Ein drittes, diesmal ganz legales Kind folgte, als persönlicher Beitrag zur Reparatur der von ihr beklagten löchrigen deutschen Demografie.

Lange 17 Jahre hielt sie es im Bundestag aus, was nicht viele schaffen. Schnupperte überall mal rein, in Arbeitsgruppen, in Bundestagsausschüsse, als Staatssekretärin auch in Ministerien: Familienpolitik, Bildung und Forschung, Petitionsausschuss, Angelegenheiten der neuen Bundesländer, Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Verkehr, digitale Infrastruktur und so. Gackerte hier mal für die Gentechnik auf dem Bauernhof, gockelte dort mal für die Atomkraft, und gut war’s.

2015 verließ sie den Kasten in Berlins Mitte und schob sich kopfüber in die Privatwirtschaft – exakt Minuten bevor der Bundestag für einen solchen Rutsch eine Karenzzeit von einem Jahr dingfest machte. Perfekt! Fünf Jahre lang sorgte sie beim Verband kommunaler Unternehmen dafür, dass die kommunalen Unternehmen beim Verband gut aufgehoben waren, dann umsorgte sie fünf Jahre lang die geistesverwandte E.ON-Tochter Westenergie AG auf deren Kosten – und Schlag 2025, die Taschen sind gefüllt, trat Reiche wieder in die zweite Reihe zurück und macht nun als Bundesministerin für Wirtschaft einfach weiter.

Zwar fantasiert Katherina Reiche, dass „die deutsche Industrie nicht konkurrenzfähig“, die deutsche „Wirtschaft nicht marktfähig“ sei und „Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen“ müsse. Doch solange der Realitätsverlust sich nur sprachlich äußert, ihr Begehren nach niedrigeren Unternehmenssteuern, längeren Wochenarbeitszeiten, späterem Renteneintritt, weniger Sozialstaat und mehr lecker Gas und Öl nur verbales Gewölle bleibt, besteht für das vierte Standbein noch keine Gefahr in der funktionoblen Gesellschaft einer funktionablen Ökonomie als funktionibler Wirtschaft!

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