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Die WahrheitPonkys Panzer

Aufregung im Café Gum: Ein Gast taucht mit fleischlosem Schildkrötenpanzer auf. Oder wie soll man das nennen, wenn sich der Inhalt verflüchtigt hat?

R aimund legte den leeren Panzer auf die Theke. Er war am Boden zerstört. „Das gibt’s doch nicht“, hauchte er konsterniert. Theo nahm den Panzer, kniff ein Auge zusammen und lugte mit dem anderen hinein. „Hm“, machte er: „Vielleicht ist sie kurz duschen gegangen. Mit einem Schuhlöffel kommt man da sicher raus.“ Er kuckte absolut ernst in die Runde, dann platzte er vor Lachen los, während Raimund sichtlich an einer Mordfantasie arbeitete.

„Du bisten Arsch“, sagte Luis, an Theo gewandt, „du siehst doch, dass er leidet.“ – „Ob es ihm allerdings hilft, dass du hier wie en Storch im Salat herumstakst, ist auch noch sehr die Frage“, erwiderte Theo. Luis stapfte in großen Schritten durchs Café Gum und hielt sein Handy hoch. „Ich versuche, ein Netz zu kriegen in dieser weltabgeschiedenen Klause. Ich hab mal wieder keine Verbindung“, sagte er. Dann drehte er sich zu Petris, dem Gumwirt: „Du brauchst WlAN, Pete, ich sag dir das seit Jahren.“

Petris schwieg und zeigte mit ausdrucksloser Miene auf das Schild, das hinter ihm an der Wand hing. „No, we don't have WiFi, talk to each other“, stand darauf. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!“, sagte Rudi, der Blödmann, neunmalklug, und wie üblich kuckten ihn alle vernichtend an. Auch Theo, obwohl die Schuhlöffel-Geschichte genauso bescheuert war.

„Ich hab Netz!“, meldete Luis kurz darauf. Er tippte auf dem Bildschirm rum, doch im Internet gab es natürlich hundert verschiedene Antworten auf die Frage, ob Schildkröten ihre Panzer verlassen können oder nicht.

Neue Runde

„Hm“, machte Theo. Er streichelte geistesabwesend den leeren Schildkrötenpanzer und bestellte, weil ihm nichts Besseres einfiel, mit leerem Blick eine neue Runde.

„Wir könnten Gernot anrufen“, sagte Luis auf einmal. – „Was? Wie bitte?“ – „Klar, der ist doch Biologie-Prof geworden“, fuhr Luis fort und tippte wieder irgendwas in sein Smartphone. „In Jena oder Regensburg oder so …“ – „Du willst den Verräter anrufen?!“

Theo war offenkundig not amused. „Wieso Verräter?“, fragte Luis verständnislos. „Weil er damals auf der Katzelbach-Demo die schwarz-rote Fahne widerstandslos den Bullen überlassen hat, als das MEK plötzlich aus der Novalisgasse herausstürmte!“, rief Theo. „Ha“, feixte Luis, „du bist doch am schnellsten von allen gerannt!“ – „Ich war ja auch nicht der Fahnenträger.“ – „Nee, weil du Schiss hattest, dass die Bullen sich den Fahnenträger als Erstes greifen!“ – „Ich, Schiss? Das musst du gerade sagen! Du bist doch gleich am Anfang …“

„Freunde, also bitte“, sagte Rudi, der Blödmann, „ihr …“ – „Du hältst die Klappe!“, herrschten die beiden ihn unisono an, und Raimund betrachtete den Schildkrötenpanzer wie Hamlet Yoricks Schädel und seufzte: „Ganz toll, Jungs, aber ich weiß immer noch nicht, was ich Finn sagen soll, wenn er morgen mit seinen Eltern aus Mallorca zurückkommt und Ponky wieder abholen will.“

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Joachim Schulz
Joachim Schulz wurde 1963 an der Nordseeküste geboren und in Regen, Wind und Nebel großgezogen. Er lebt mittlerweile in einer kleinen Welt in der hessischen Provinz, wo unablässig die großen Fragen des Lebens erörtert werden, und ist seit 1996 im Einsatz für Die Wahrheit.
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