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Die WahrheitKnallchargenwahl

Neues aus Neuseeland: Wenn wie zuletzt in Aotearoa gewählt wird, dann kriechen die gruseligsten Gestalten als Kandidaten aus ihren Höhlen.

D ie Achse des Bösen führt geradewegs von Manila nach Christchurch. Größenwahnsinnige Politschurken kennt unser Inselreich im tiefen Süden auch. In den soeben zu Ende gegangenen Lokalwahlen tauchte ein Panoptikum von Kriminellen und Knallchargen auf, gegen das der Marcos-Clan samt Imeldas Schuhfetisch verblasst.

Ganz Aotearoa hat neue Stadträte gewählt und dabei Rekorde gebrochen: Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie nie. Hokitika an der Westküste hat jetzt die älteste Bürgermeisterin der Welt, die 82 und trans ist. Und Christchurch hatte die höchste Anzahl an Kandidaten, denen es an jeglichen Gewinnchancen fehlte, aber nicht an beeindruckender Hybris.

Die Sonderlinge, allesamt männlich, werfen sich alle Jahre wieder erneut ins Rennen – der Hartnäckigste seit 1971. Manche stehen wochenlang am Straßenrand und halten tapfer Schilder mit ihrem Namen hoch. Drei von ihnen sind vorbestraft. Einige wären bei Therapeuten oder in Sicherheitsverwahrung besser aufgehoben als in einem öffentlichen Amt.

Blair Anderson zählt zu den Sympathischeren. Der 71-jährige Hundetrainer und Cannabis-Aktivist gibt als Hobby außer Joint-Dampfen auch Ski-Ballet an. Als Mitglied der „Aotearoa Legalise Cannabis“-Partei versuchte er es zum sechsten Mal, kam aber nie über 900 Stimmen. Auf die Frage, warum er dennoch antrete, antwortete er: „Weil ich gewählt wurde.“ Da war er wohl high.

Ähnlich verpeilt erscheint auch der pensionierte Peter Wakeman, zum siebten Mal dabei. Obwohl er in Christchurch lebt, kandidierte er gleichzeitig für den Bürgermeisterjob in der Metropole Auckland. Vielleicht sollte er seine Ambitionen gleich aufs Universum ausdehnen? Denn in einem Fragebogen gab er als ethnische Zugehörigkeit „Erdling“ an.

Komplexer wird es beim 79-jährigen Tubby Hansen. Das Urgestein fährt seit 54 Jahren eine Ein-Mann-Kampagne für breitere Straßen – und für den Ausstieg aus dem Commonwealth, unterlegt mit einem selbst komponierten Song über Charles und Camilla. Der Verschwörungsfabulierer warnt auch vor britischen Agenten, die uns mit Lasern und vergiftetem Tee bedrohen.

Zum zweiten Mal trat Nikora Nitro an. 2012 wurde der 47-Jährige wegen illegalen Sexes mit einem 16-jährigen Stricher verurteilt. Später gründete er einen Verein für sozial schwache Jugendliche, dem jedoch Nähe zur Prostitution vorgeworfen wurde. Es folgte Ärger wegen Veruntreuung von Geldern. Korruption können Kiwis auch!

Diese Karriere wird nur noch von Gegenkandidat Philip Arps übertroffen, der stets mit den Hitler-Insignien „14 88“ auf seinem Lieferwagen herumfuhr. Als der Neonazi 2019 das illegale Livestream-Video des Moschee-Attentats in Christchurch verbreitete, ging er in den Knast – aber stellte sich 2022 als Schulrats- und dieses Jahr als Bürgermeisterkandidat auf. Egal, dass Arps Letzter wurde: Auch er taucht garantiert wieder auf.

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Anke Richter
Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).
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