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Die WahrheitZurück zum Halm, ran an den Rasen

Eine neue rechte und brandgefährliche Graswurzelbewegung hat Deutschland und seine überaus gepflegten Gärten fest im stählernen Griff.

Bild: Dorthe Landschulz

Rudolf H. sitzt wie jeden Nachmittag bei einer Tasse Kaffee auf seiner Veranda im hessischen Lahntal, als er den zehnjährigen Nachbarsjungen über seinen frisch gemähten Rasen laufen sieht. Der Fußball des Kindes, gibt der 71-jährige H. später beim Verhör an, sei über den Zaun in seinen Garten geflogen, „und das nicht zum ersten Mal“. H. holt daraufhin sein Jagdgewehr und schießt, ohne zu zögern. „Hat mich genervt, der Rotzlöffel“, sagt H. und kaut auf seinem Schnupftabak. „Trampelt mir ja alles platt.“ Er habe aber „immerhin absichtlich danebengezielt“.

Wer meint, dies sei ein bizarrer Einzelfall, der irrt. Bundesweit verzeichnet die Polizei eine steigende Zahl ähnlicher Vergehen. Nachbarn bedrohen einander mit Fäusten, Messern, Äxten oder Schusswaffen, weil der eine unerlaubt die penibel gestutzte Grünfläche des anderen betreten und „sozusagen das Intimste mit Füßen – oder, noch schlimmer, mit Straßenschuhen – getreten hat“, sagt der Berliner Polizeipsychologe Hilmar Frund.

Dass die Deutschen einen gepflegten Rasen liebten, sei hinlänglich bekannt. Diese Liebe aber, warnt Frund, sei brandgefährlich. Man habe es in Deutschland mit einem „neuen Rasenwahn“ zu tun: „Die Betroffenen glauben, dass der eigene Rasen allen anderen weit überlegen ist. Und dafür sind sie bereit, alles zu tun.“

Frund blickt unheilvoll ins Leere. „Wirklich alles.“ Denn es gebe nichts, was bei diesen Menschen ein stärkeres Gefühl der Wut auslösen könne, als wenn sie die Akkuratesse ihres Rasens bedroht sehen. „Man sagt nicht umsonst, dass jemand rasend vor Wut ist oder sich in Wut hineinsteigert bis zur Raserei.“ In den USA habe sich dafür längst der Fachbegriff lawn rage etabliert, der sich mit „Rasenwut“ oder „Rasenfuror“ übersetzen lasse.

Ursachen des Furors

Die Universität Bielefeld hat dazu das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Hass im Gras“ gestartet. Studienleiterin Eva Traub schildert die Ursachen jenes Furors: „Diesen Menschen geht Rasenhygiene über alles.“ Es handele sich um eine Sucht, die sich langsam, aber kontinuierlich verschlimmere. Sie beginne meist damit, „dass der Rasen sehr viel häufiger gemäht wird, als es nötig wäre, oft sogar nachts“.

Andere Arbeiten, Hobbys, auch die Familie und der Freundeskreis würden zugunsten des Rasenmähens immer stärker vernachlässigt. „Das Gefühl, den Rasen nicht oft genug mähen zu können, verursacht Stress, der sich bis zum Jät-Zorn steigert“, erklärt die Konfliktforscherin. „Aber was man auch tut, das Ergebnis bleibt hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Da wird notfalls mit der Fußnagelschere nachgearbeitet.“ Mangelnde Impulskontrolle, Zwanghaftigkeit und obsessive Rasenpflege gingen Hand in Hand. „Eine hochexplosive Mischung“, sagt Traub.

In den Vereinigten Staaten könne man eine Entwicklung beobachten, die auch hierzulande zu befürchten sei. „Bis zu 80.000 Amerikanerinnen und Amerikaner kommen jedes Jahr aufgrund von lawn rage ins Krankenhaus, mit Hämatomen, Knochenbrüchen, Schussverletzungen, und nicht wenige sterben sogar“, erklärt Traub. „Denken Sie an den berühmten Schauspieler Richard Widmark, der seine Filmgegner gerne niedermähte. Noch so ein vielsagender Begriff. Widmark wurde schwer verletzt und hätte fast ein Bein verloren. Nach der Operation fragte er die Ärzte aber nicht, ob er jemals wieder seinen Beruf ausüben kann.“ Traub schüttelt den Kopf. „Er wollte nur wissen, wann er wieder mähen kann.“

Die Deutsche Rasengesellschaft räumt zumindest ein, dass „die Beziehung zum eigenen Rasen sehr emotional werden kann“. Diese Haltung verkenne aber die Dimension des Problems, sagt Marko Lenz vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz. Man beobachte in allen Bundesländern eine steigende Zahl von Grünflächenbesitzern, die sich zu Gruppen einer rechten Graswurzelbewegung zusammenschließen, genannt „Der Stahlhalm“.

Krude Lehre

Ihr Gruß laute „Halm Hitler“, und sie hingen einer kruden Rasenlehre an. Etwa, dass „der Volksrasen“ ausschließlich aus Deutschem Weidelgras zu bestehen habe. „Der Name ist, wie Sie sich denken können, kein Zufall.“

Lenz zitiert aus dem Pamphlet der Gruppierung: „Das Deutsche Weidelgras hat sich durch zielstrebige Züchtungsarbeit zum robusten und trittfesten Rasengras entwickelt. Es unterdrückt andere Mischungspartner wie etwa den minderwertigen Rohr-, Rot- oder Schafschwingel und bildet viel Masse.“ Lenz seufzt. „Alles, was nicht dem Ideal entspricht – blühende Wiesen, Fugenunkraut, renaturierte Gärten –, wird nach dem Prinzip lawn and order mit autoritären Mitteln bekämpft. Da stellt jedes Gänseblümchen eine Bedrohung dar.“

In Bayern hat die Gruppe bereits eine Petition gestartet mit der Forderung, säumige Mäher bis zu 90 Tage ins Gefängnis zu schicken. Ministerpräsident Markus Söder hält sich bei dem Thema zurück. „Ich sage nur so viel: Wer mähen kann, der muss auch mähen. Das gilt für alle.“ Nicht kommentieren will Söder einen Bericht der Gala, laut dem sein Stellvertreter Hubert Aiwanger eine Gartenparty der „Stahlhalme“ besucht und bei der Tombola „einen handgeführten Laubbläser inklusive Flachdüse und Fangsack“ gewonnen hat.

Aiwanger selbst sagt auf Nachfrage: „Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas im Geräteschuppen haben soll. Das war bestimmt mein Cousin.“ Er glaube zwar, dass über die Zeit des Nationalsozialismus „zu Recht Gras gewachsen“ sei. Aber man müsse „wachsam“ bleiben: „Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Rasenbesitzer und jede anständige Rasenbesitzerin ein Messer in der Gartenschürze haben dürfte.“

Unions-Fraktionschef Jens Spahn pflichtet dem bei. „Jetzt hören wir bitte mal auf, die Dinge alle durcheinander zu werfen. Nicht immer ist der Gärtner der Böse, und nicht jeder, der seinen Rasen mäht, ist gleich ein Rechts­ex­tre­mer“, sagt Spahn. Man müsse diese Tätigkeit behandeln „wie jedes andere Hobby auch“. Und dann zitiert der bekennende Katholik aus der Bibel: „Die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht. Wahrhaftig, Gras ist das Volk!“ Er lächelt milde. „Dem ist nichts hinzuzufügen.“

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