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Die WahrheitEin Meer von Wust

Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Originale“ (2): Von der ganzen lässigen Prächtigkeit eines Gartens im Fränkischen.

Der Schmuck des Absichtslosen: Hier darfs bleiben, wie es ist Foto: AP

Es gibt Menschen oder Dinge, die sind einzigartig. Wahre Originale oder Unikate. Die herausragen aus dem flachen Tal des grauen Alltags. Und dennoch nicht sofort in ihrer außergewöhnlichen Schönheit oder überraschenden Wirksamkeit erkannt werden. Aber dafür gibt es ja die Wahrheit. Die einige Exemplare dieser irisierenden Ausnahmeerscheinungen ins strahlende Licht der Wahrnehmung rückt.

Seit einigen Wochen lese ich Die Zeit, weil sie mir die Lore, eine alte Freundin meiner Mutter, vorbeibringt. Das Hamburger Blatt ist eine Kulturleistung höchsten Ranges. Ich bin jedesmal entzückt, wie man es da oben im intellektuellen Erbsensuppentopf schafft, bei egal welchem Thema alles falsch zu betrachten und die Ergebnisse des falschen Hinsehens konsequent falsch aufzuschreiben.

In der Sommerferienausgabe pries zum Beispiel die Dramaturgin Çağla Ilk meine Zweitheimat Frankfurt am Main, ersaufend in den alleroriginellsten Klischees, die mit diesem städtischen Schrotthaufen überhaupt nichts mehr zu tun haben: „Wenn man mich fragt, welche die kosmopolitischste Stadt Deutschlands ist, ohne dabei meiner ersten Liebe Berlin zu nahe zu treten, dann sage ich: Frankfurt.

Mit seiner unglaublichen Skyline ist es für mich die wahre Metropole“ – die „unglaubliche“ Skyline, ach Gott, ach Gott –, und dieser Witz von „City“ sei „ein urbaner Organismus, in dem Kapital, Kritik und Kultur im Dialog – oder Streit – stehen“, wahrscheinlich im gelobten Land „zwischen Gebet und Party, Notunterkunft und Offspace, Teestube und Technoklub“.

Dem Gipfel der reiseführerkompatiblen Verlogenheit setzte Ilk hiermit die Krone auf: „Der Main ist mehr als ein Fluß – er ist ein Zeitzeuge, Spiegel der Stadt, der alles zusammenhält, was sich sonst in alle Richtungen dehnt.“ Den Satz versteht sie selber nicht. Der Main, um der Wahrheit die Ehre zu erweisen, ist eine ordinäre Wasserstraße und, ich habs vor Jahren in einem Aufsatz nachgewiesen, obendrein der dümmste Fluss Deutschlands.

Frankfurt? Fertig, erledigt, gehört abgeräumt. Alles, was diese Stadt einmal auszeichnete – das partiell Anmutige und generell Funktionale –, hat ein Sumpf aus Inkompetenz, Ignoranz und Idiotie verschluckt.

Fern von allem Frankfurter Alltags- und enervierenden Politgekraute, schmiegt sich hier, in meinem fränkischen Refugium, an den ehemaligen kleinstbäuerlichen Hof dafür ein Garten, an dessen Entree ein Zwetschgenbaum steht, den mein Großvater pflanzte. Er hat nicht „zu wenig Sonn“ (Bertolt Brecht: „Der Pflaumenbaum“), im Gegenteil. Er gedeiht beharrlich und zäh, die Blätter reflektieren das Licht wie nicht gescheit, und nachdem meine Mutter aus Angst, sie könne uns auf den Kopf stürzen, die Krone hatte kappen lassen, bildete er durch kreisförmig um den Stamm hochschießende Wildlinge geschwind eine neue.

Die Gärten in der Nachbarschaft sind auch nicht verkehrt, fast eigensinnig. Linker Hand verlottert alles aufs glänzendste, dahinter trotzt ein Herkules von Apfelbaum – Erbe der Subsistenz­wirtschaft – den Blödheiten der Gegenwart, rechter Hand, beim Müller Wieland, jenseits des Heckenwielandswalls, bleibt ebenfalls alles sich selbst überlassen, und den Horizont überm Schulgässchen verziert ein Walnussbaumdenkmal von geradezu überirdischen Ausmaßen.

Ort der Vermischung von Erinnerung und Verwilderung

Aber unseren Garten gibt es kein zweites Mal auf dieser komischen Welt. Seit dem Tod unserer Eltern ist er ein Ort der Vermischung von Erinnerung und Verwilderung, halberts Wiese – gedüngt und gespritzt wird nichts –, narrischer Insektenbetrieb (Hummeln, Schlupfwespen, Bienen, Falter, Krauchzeug aller Art), Klee, Ringelblumen, Margeriten, Ferkelkraut, Braunelle, Löwenzahn („Haupt- und Endgegner des Gärtners“, wie mir mein Bruder Thomas schreibt), ein Meer von Wust, vom Menschentun verschont, dazu ein stetig wachsender Reisighaufen für Igel und den Zaunkönig.

In Büschen und Bäumen finden meckernde Amseln, metallisch schnarrende Meisen, einfältige Grünfinken, hübsche Mönchsgrasmücken, der allerliebste Hausrotschwanz, der kriminelle Kleiber und wahnwitzig lärmende Spatzentrupps Heimstätten, insbesondere im Rambour-Apfel – was allerdings, verfickte „Dialektik der Natur“ (Friedrich Engels), den Sperber und den Habicht ab und an zum Vorbeischauen animiert, zwecks Convenience-Speisung.

Hier muss nichts besser gemacht, verändert werden. Hier darfs bleiben, wie es ist. Der Schmuck des Absichtslosen, die Beständigkeit im Wandel dessen, was wir nicht beeinflussen mögen – außer die Blumenkübel und -rabatten, die unseren Eltern tief am Herzen lagen und einer gewissen Pflege bedürfen: die Queen-Elizabeth-Rosen, die Kapuzinerkresse, Narzissen und Osterglocken, der Gewöhnliche Sonnenhut sowie der Seltsame Scheinsonnenhut, „die unnatürlich gefärbten Lichtnelken“ (Thomas), Fuchsien, Baummalve, Phlox, Hassler-Spinnenpflanze – still rangeln sie um Bewunderung, diese flamboyant-formlichen Mirakel, und sie erheischen die Wassergabe, „das Grün zu ermutigen“ (Brecht: „Vom Sprengen des Gartens“).

Vadders Lieblingsplatz war unterm Zwetschger. Nirgendwo schmeckt das Bier würdiger, nirgendwo lässt es sich besser schweigen, „einsamer nie als im August“ (Gottfried Benn). Was soll ich in Frankfurt?

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