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Die WahrheitZimmerwandern

Tagebuch einer Schreiterin: Der leidige Wasserschaden in der Wohnung führt zu erstaunlichen Resultaten beim täglichen Fitnesstraining.

V or ein paar Wochen gab es mal wieder bedeutende Jubiläen zu feiern. Wir begingen nicht nur den zehnten Todestag des schmerzlich vermissten Harry Rowohlt, sondern auch den ersten Geburtstag eines beachtlichen Wasserschadens in meiner Kleiderkammer. Als Allererster beglückwünschte mich A., Chef der Armee von Handwerkern, die sich seit zwölf Monaten durch meine Wohnung wälzt: „Frohet neuet Jahr! Ach so, und im vierten Stock dit Abwasserrohr, dit wird ja och nur noch von Kalk zusammjehalten!“ Eine Gratulation, die vermutlich ganz nach Harrys Geschmack gewesen wäre.

Da alles Gute ja bekanntlich von oben kommt, legte ich als Bewohnerin des zweiten Stocks in Erwartung der nachbarlichen Gülle, die mich wohl demnächst fluten würde, schon mal Plastikfolie aus und durchforstete mein Gedächtnis nach dort abgelegten Bittgebeten. Leider war alles, was mir einfiel: „Komm Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast“, aber das schien mir dann doch etwas zu einladend.

Während ich noch der zu erwartenden Segnungen von oben harrte, verteilte der Handwerkertrupp unter A.s fürsorglicher Anleitung sogenannte Drehsteifen in meinem Schlafzimmer. Laut Recherche „besitzen drehsteife Kupplungen eine hohe Torsionssteifigkeit“, was beispielsweise das Herabstürzen von Decken verhindert. Ähnlich dem Häuptling Majestix aus den „Asterix“-Heften ist A. nämlich besorgt, mir könne des Nachts der Himmel in Gestalt meiner Zimmerdecke auf den Kopf fallen, da sich die diagnostizierten Balkenschäden in den Wohnungen über mir nahezu wöchentlich vermehren; ein Grund, weshalb die Drehsteifensammlung sich gerade zu einer Art Wald erweitert.

Schon wegen ihrer sagenhaften Stabilität eignen sich die starren Stangen allerdings auch hervorragend zum Pole Dancing, womit ich meiner eigenen, altersgemäßen Torsions­steifigkeit entgegensteuere. Inzwischen betreibe ich zweimal die Woche den beliebten Workshop „Pole Dancing with the Stars“, womit nicht etwa die übliche C-Garnitur semiprominenter Hupfdohlen gemeint ist, sondern der Ausblick auf den in klaren Nächten strahlenden Sternenhimmel, den wir, an unseren Stangen schwebend, durch eine sich bis zum Dach hinauf öffnende Löcherkette genießen dürfen.

Überhaupt trägt die eher schleppende Schadenssanierung erheblich zu meiner Fitness bei, die Zahl meiner Schritte zwischen den Aufbewahrungsorten meiner wegen aufgequollener Schränke heimatlosen Kleidung hat sich nahezu verdoppelt. Durchschnittlich brauche ich jetzt 200 Schritte mehr, um allmorgendlich ein normales Outfit zwischen Schlaf-, Gäste- und Wohnzimmer zusammenzuklauben, was aufs Jahr gerechnet in etwa der Strecke von 54 Kilometern oder mindestens einer Berliner Ost-West-Durchquerung entspricht.

Eigentlich ist ein Wasserschaden doch der reinste Jung-brunnen.

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Pia Frankenberg
Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert
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