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Die WahrheitBallermann auf Belgisch

Die aktuelle Wahrheit-Reisewarnung: Wenn junge Touristen die Baleareninsel Mallorca mit Malle in Belgien verwechseln.

Comic: Kittihawk

„Wir wollten nach Malle, und jetzt hängen wir in Malle fest“, weint der 21-jährige Linus bittere Tränen der Enttäuschung in seinen Eimer, der statt mallorquinischer Sangria belgisches Trappistenbier enthält, das traditionell zu hohen Werktagen, niederen Festtagen sowie zu jeder vollen Stunde gereicht wird. „Olé, olé, olé“, skandiert sein Kumpel Niklas (21) eher verhalten, als Gastwirt Didier Hulpen seinen Plastiknapf mit dem Gerstensaft auffüllt.

„Für mich ist der Eimer immer halbvoll“, lallt der hoffnungslose Optimist. Niklas hat sich vorgenommen, das Beste aus seinem unfreiwilligen Aufenthalt in der belgischen Kleinstadt Malle zu machen. Er hat als Ersatztorwart beim örtlichen Fußballverein KV Westmalle angeheuert und sogar einen Job im lukrativen belgischen Ölgeschäft gefunden. Einmal am Tag wechselt der deutsche Gastarbeiter in einem komplizierten Rotationssystem das Frittenfett von allen 23 Imbissbuden der Stadt.

Linienbus nach Malle

Noch vor zwei Wochen hatten die beiden jungen Männer geglaubt, im Internet eine günstige Urlaubsreise auf die spanische Sonneninsel gebucht zu haben, doch schon gut 150 Kilometer hinter der Landesgrenze Nordrhein-Westfalens war der traumhafte Trip schnell zu Ende.

„Von Köln nach Malle in zweieinhalb Stunden mit dem Linienbus, da hätte man schon stutzig werden können“, gibt der nachdenkliche Linus zu, während Niklas mit der Gast­wirts­toch­ter schäkert, bis es Vater Didier zu bunt wird. Kurzentschlossen salbt er den Schlaks mit einem Aufwärtshaken zum Schwiegersohn und setzt die Hochzeit für den nächsten Monat an.

Damit ist Niklas Schicksal als Flame wohl besiegelt, doch Linus hat noch immer eine Chance, den tödlich langweiligen Feldern Flanderns zu entkommen. Allerdings muss er dazu den analogen Busfahrplan an der Haltestelle entziffern – für einen Digital Native wie Linus eine schier unlösbare Aufgabe.

Nicht alle Fremden sind integriert

„Linus und Niklas sind keine Einzelfälle“, erklärt die lokale Aktivistin Vera Lambert und weist auf eine Menschenmenge in Freizeitkleidung, die vor der Sint-Martinus-Kerk campiert und sich mit den Gegebenheiten des Urlaubsorts zu arrangieren versucht. Eine Familie aus dem sächsischen Zwickau schnorchelt im Schlossgraben, im einzigen Möbelhaus sind beide Liegestühle bis in den September belegt. Die Neuankömmlinge werden von Tierfreundin Lambert zusammen mit einem Dutzend Stadttauben regelmäßig gefüttert, doch nicht alle Touristen haben regelmäßigen Zugang zu Alkohol.

Immerhin entwickelt sich auch im belgischen Malle langsam eine überlebensfähige deutsche Kolonie. Schon brennt eine deutsche Bäckerei illegal Schwarzbrot, und erste Teutonen-Promis beziehen protzige Ferienhäuser. Doch längst nicht alle Fremden sind gut integriert. Viele irren noch Monate nach ihrer Ankunft in Badeschlappen durch die Innenstadt und suchen laut grölend nach der Schinkenstraße.

Vera Lambert glaubt indes nicht an Fehlbuchungen oder Internetbetrug, vielmehr nutzten spanische Behörden die zufällige Namensähnlichkeit der beiden Destinationen gezielt aus.

„Intellektuell vulnerable Urlauber werden mit speziellen Lockangeboten aus dem Fremdenverkehr gefischt und brutal von der Herde getrennt“, empört sich die Aktivistin, die sich für die Ächtung solcher Touristenfallen einsetzt. „Aber immerhin benutzen die Spanier bislang nur Lebendfallen.“

Dreizehn baugleiche Marbellas

Anders sieht es im traditionellen Sehnsuchtsland der Deutschen aus. Auf dem Brenner haben die jagdfreudigen Italiener riesige Leimruten aufgestellt, an denen nicht nur Singvögel, sondern auch Ferienflieger aus dem Norden kleben bleiben. Spätestens zum Sommersiedepunkt Ferragosto sollen Italiens Liegestühle wieder den Italienern gehören, verspricht Ferienfaschistin Meloni, die malerische Häfen und lauschige Buchten ausschließlich für Milliardärsjachten öffnen will.

Pauschaltouristen, die es trotz aller Schikanen über die Grenze geschafft haben, plant Meloni nach Albanien auszuweisen, wo sie zusammen mit anderen ungebetenen Gästen in Ferienlagern der TUI interniert werden.

Tatsächlich wollen die meisten europäischen Sonnenländer künftig nicht nur illegale Migranten, sondern auch unqualifizierte Urlauber an ihren Grenzen abweisen und in Schrottdestinationen wie Ruanda oder Sachsen-Anhalt entsorgen. Die Infrastruktur dafür wird gerade geschaffen: An der libyschen Küste entsteht auf Kriegsruinen ein detailgetreuer Nachbau der Costa del Sol, wo die spanischen Behörden Problemurlauber aus dem Vereinigten Königreich festsetzen wollen. Gleich dreizehn baugleiche Marbellas sollen in den kritischen Urlaubsmonaten bis zu 500.000 Insassen beherbergen, die schon beim Flughafen-­Check-in im Herkunftsland anhand ihrer Tätowierungen identifiziert und aussortiert werden.

Ein Prag mit Edelstahloberfläche

Für viele landschaftlich abgehängte Regionen Europas ist die touristische Abschiebeindustrie die letzte Chance auf ein wenig Fremdenverkehr: Das chronisch unterbesuchte Saarland baut im Auftrag der tschechischen Regierung für Junggesellenabschiede ein abwaschbares Prag mit hygienischer Edelstahloberfläche. Ein unsinkbares Venedig-Double aus Glasfaserkunststoff soll künftig in der Schlei treiben und neben dem Ausweich-Paris in Texas, sollen auch ein Paris an der Wümme und Jena-Paris in Plattenbauweise entstehen. Ferner sollen neben der Sächsischen Schweiz noch weitere Eidgenossenschaften für den kleinen Geldbeutel errichtet werden, auch wenn es auf Bundesgebiet schon 130 Billig-Schweizen gibt.

Auffanglager und Partylocation

Im belgischen Malle reißt unterdes der Touristenstrom nicht ab. Gerade setzt rumpelnd eine vollbesetzte Chartermaschine mit Mallorca-Touristen auf einem Kartoffelacker in der Nähe auf.

„Die Baleareninsel hat offenbar auch ein geheimes Abschiebeabkommen mit Belgien geschlossen“, mutmaßt Aktivistin Vera Lambert, denn die verwirrten Reisenden werden von Uniformierten mit Partyhütchen in Empfang genommen. Statt in das beschauliche Städtchen Malle werden die Touristen von berittenen Koberern in ein stillgelegtes Stahlwerk am Südrand Antwerpens getrieben, das den bedrängten Massen als Auffanglager und Party­location dienen soll.

Für die Ureinwohner des betroffenen Antwerpener Stadtteils Hoboken wurde schon ein Ersatzviertel errichtet. Angeblich liegt es aber auf einer unwirtlichen Insel am Arsch der Welt.

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