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Die WahrheitWohlfühlzonen für den Festtagstrunk

Das irische Dunkelbier greift auf britischen Boden über. Ein neuer Trend führt zu Rationierungen in Pubs. Schuld ist das Spiel „Split the G“.

D ie armen Engländer. Kaum haben sie sich ihr lauwarmes Lagerbier abgewöhnt und sind massenhaft auf Guinness umgestiegen, da muss es auch schon rationiert werden. Bis vor ein paar Jahren galt Guinness als Getränk für alte Männer.

Doch dann, im Jahr 2023, wollten die Hipster nicht mehr an Craft-Hühnerpisse nippen, sondern im Pub „Split the G“ spielen. Dabei muss man mit dem ersten Schluck so viel Guinness trinken, dass die Linie zwischen Flüssigkeit und Schaum mit der Mittellinie des Buchstabens „G“ auf dem Logo des Glases übereinstimmt. Plötzlich war es cool, in einem trendigen Pub Guinness zu trinken.

Der Bierabsatz ist im Vereinigten Königreich voriges Jahr zurückgegangen, aber Guinness konnte den Umsatz um mehr als 20 Prozent steigern. Es ist das meistverkaufte Fassbier in englischen Kneipen. Weil man in der Dubliner Brauerei damit nicht gerechnet hat, kommt man mit den Lieferungen auf die Nachbarinsel nicht hinterher. In einigen Pubs wurden sogar Rationierungskarten wie im Krieg ausgegeben. Die Gäste mussten erst zwei andere Getränke kaufen, bevor sie ein Guinness bekamen. Es dauert 119,5 Sekunden, bis ein perfektes Pint – also 0,56 Liter – gezapft ist.

Die irische Botschaft in London nutzte die prekäre Lage gnadenlos aus. Beim traditionellen Weihnachtsempfang war es proppenvoll, obwohl das Spectator-Magazin zur selben Zeit mit einem Champagner-Empfang lockte. Botschaftssprecher Michael Lonergan erklärte den Gästen triumphierend, dass in den meisten Londoner Pubs die Guinness-Zapfhähne versiegt seien. „Aber keine Sorge“, fügte er hinzu. „Da dies irisches Hoheitsgebiet ist, kann ich Sie beruhigen, dass unsere Vorräte nicht betroffen sind.“

Zu Hause in Dublin ist das Guinness ebenfalls nicht knapp, es ist genug für ein nationales Besäufnis vorhanden. Und dafür sind die Iren ja bekannt. Einer der frühesten Vertreter dieses Klischees, Plato, beschrieb die Kelten als „trunken und kämpferisch“. Englische Politiker griffen das im 19. Jahrhundert auf, um die Kolonialherrschaft zu rechtfertigen. Darüber hinaus, so der Harvard-Soziologe Robert Bales, sei das irische Trinken „untrennbar mit offener, aktiver und anhaltender Aggression gegen die Engländer“ verbunden.

Offenbar glaubt die Dubliner Stadtverwaltung die Klischees ebenfalls. Sie hat „Wohlfühlzonen“ in der Innenstadt eingerichtet. Dort steht geschultes medizinisches Personal bereit. „Wenn Sie einen Weihnachtstrunk zu viel hatten, der Wohlfahrtsbereich steht Ihnen zur Verfügung“, versprach die Stadtverwaltung.

Übrigens haben die Engländer in Wahrheit seit jeher mehr gesoffen als die Iren. Und für die Aggressionen sorgen sie jede Nacht nach Kneipenschluss mit zünftigen Schlägereien selbst. Dafür brauchen sie die Iren gar nicht. Also meiden Sie die englischen Pubs. Und kommen Sie gut ins neue Jahr!

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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