piwik no script img

Die WahrheitVon der Rückbank in die Freiheit

Noch mehr Rücktritte wird es in den nächsten Wochen in der Politik geben. Ein Berliner Taxifahrer weiß bereits jetzt mehr als alles.

Bild: Rattelschneck

Alban Vogli nimmt eine Prise vom sehr guten Schnupftabak. „Hier, wollen Sie auch?“ Wir nicken, unsere Taxifahrt mit Vogli kann dauern, wie immer geht in Berlin nichts voran, wir warten jetzt schon 45 Minuten an und in einer Baustelle mitten am Hauptplatz der DDR, dem Alexanderplatz.

Da wir von allen Seiten von Baustellenabsperrungen umzingelt sind, ist es sinnlos, das Taxi von Vogli zu verlassen, wir können nirgendwohin, es gibt gerade keinen Ausweg in der Hauptstadt. Dann besser einen „Bernard ­aecht altbayerischer Schmalzler Schnupftabak“, wie wir auf der uns gereichten Schmuckdose lesen können. Hatschi, das macht den Kopf frei!

Alban Vogli kommt in zweiter Generation aus Albanien, er fährt auch in zweiter Generation Taxi, „und im Gegensatz zu meinen Albanerkollegen, die Mustafë oder Muhammed heißen und bei Uber oder Freenow auch im angeblich so ausländerfreundlichen Berlin gleich wieder abbestellt werden, wenn ihr Vorname auf dem Kundendisplay auftaucht, also im Gegensatz zu denen läuft das Geschäft geil bei mir.“

Warum, fragen wir und nehmen noch eine Prise vom aecht altbayerischen Schmalzler Schnupftabak. „Warum? Weil die Leute denken, ich sei so ein langweiliger Schweizer, so ein Alban Vogli halt. Alban Vogli – das ist ein 100 Prozent Albanername. Und ich hatte sie alle!“

Ordentlich standesgemäß pikiert

Wir zucken zusammen, so was sagt man doch nicht zu einer Kundin, haallo! „Was meinen Sie denn damit?“, fragen wir ordentlich standesgemäß pikiert. „Ich meine, ich hatte sie alle, alle diese zurückgetretenen Politiker und Politikerinnen, alle, die fertig haben und hatten hier in Berlin – hier bei mir in Alban Voglis Taxi! Ich fuhr schon Taxi, da wollte Ronald Pofalla, erinnern Sie sich noch, der Schoßhund von Angela Merkel, endlich Kohle machen und eine Familie gründen. Hat er mir alles von da hinten im Fond erzählt. Ich musste ihn ja immer vom Kanzleramt die zwei Schritte zum Hauptbahnhof fahren, weil er keinen Bock auf seinen Chauffeur hatte.“

Viele Politiker stiegen gern mal inkognito ins Taxi, „die haben dann so Sonnenbrillen an oder abends auch mal einen Schlapphut. Aber ich erkenne sie alle, auch den Kevin!“ Das ist ja was – und richtig, Pofalla, Ronald Pofalla, der CDU-Mann, der sich selbst 2013 lukrativ zurückgetreten und dann falsche Weichen bei der Deutschen Bahn gestellt hat, richtig. Aber was ist mit den echten Rücktritten, den Politikerinnen und Politikern, die ganz plötzlich auf der Rück- und Hinterbank der Politik sitzen?

„Rückbank“, ruft Alban Vogli enthusiamiert und zieht sich noch einen weiteren aecht altbayerischen Schmalzler Schnupftabak rein, „Rückbank ist das Stichwort! Gerade letztens Ricarda Lang, hier bei mir hinten im Taxi, ein kompaktes Häufchen Elend. Hab ich erst mal Halt gemacht beim besten Albano-Dürum-Vegan-Döner von ganz Berlin in der Hauptstraße und ihr einen ausgegeben.“ Der Ricarda Lang, der eben zurückgetretenen Co-Vorsitzenden der Grünen, die nicht selbst Lastenrad fährt oder mit dem E-Auto-Dienstwagen-Chauffeur?

Mehr über Ricarda Lang wissen als sie über sich selbst

Taxifahrer Alban Vogli weiß mehr über Ricarda Lang als Lang möglicherweise über sich selbst. „Wenn du wie die Ricarda mitten in Kreuzberg wohnst, nahe bei dieser crazy Polizeistation am crazy Kottbusser Tor, dann hast du auf der Straße dort oft keinen Spaß, aber du hast auch im Netz keinen Spaß! Die Arme wird einfach sekündlich beschimpft und niedergemacht, also, sie hat mir das dann alles vorgelesen im Taxi, zu was Menschen textlich so fähig sind, wenn sie zwar nicht schreiben können, aber anonym den letzten Dreck von sich geben. Irgendwann hab ich dann zu Ricarda Lang gesagt: ‚Frau Ricarda, wir stehen jetzt seit zwei Stunden vor ihrem Haus, und ich muss auch noch weiter Geld verdienen in der Berliner Nacht.‘ Sie hat sich bedankt und ist schniefend von der Rückbank weg.“

Wir schütteln anerkennend den Kopf, schürzen unsere Reporterinnenlippen, „das ist ja was!“ – „Klar ist das was, und wissen Sie was?“ Wir schütteln verneinend und erwartungsvoll noch mal unseren Kopf. „Ich kann Ihnen auf Namen genau vorhersagen, wer noch alles in den nächsten Wochen zurücktritt.“ Hatschi, jetzt haben wir aber wirklich zu viel vom aecht altbayerischen Schmalzler Schnupftabak genommen! Mit tränenden Augen und triefender Nase fragen wir Alban Vogli: „Und?“, wollen wir begierig wissen.

Vogli hält den Spannungsbogen im Taxi, hupt eben kurz und durchdringend zwei Tandemfahrer weg, die sich plötzlich vor uns aus einem Berliner Baustellenerdloch schälen, dann hebt er an: „Also, es kommt so: Frau Baer­bock hat sehr bald keinen Bock mehr!“ – „Ah, ist das wirklich so?“, fragen wir skeptisch. „Ja“, meint Vogli, „als ich Annalena letztens heim nach Potsdam gefahren habe – das ist eine gute Tour, wir stoppen dann immer an der Spinnerbrücke bei der Avus, da ist eine Motorradkneipe, und sie gibt mir einen Kaffee aus –, also, wir sitzen da so, und sie sagt: ‚Antony Blinken, kennen Sie den? Das ist der amerikanische Außenminister, also Antony und ich, wir hören dann zusammen nach den Wahlen dort im November auf. Wir ziehen nach Alaska und eröffnen eine Krabbenfarm.‘ “ Taxifahrer Vogli gluckst vor Lachen. „Eine Krabbenfarm! In Alaska! Sind schon komisch diese Politiker!“

Mit dem Robert auf Du und Du

Wir nicken. „Aber was ist mit Robert Habeck, tritt der nicht noch eher zurück, weil er die Faxen und die Wärmepumpen dicke hat?“ Vogli schüttelt den Kopf. „Robert, er hat mir neulich das Du beim Auftanken angeboten, Robert tritt erst als Vizekanzler zurück, wenn der Kanzler zurücktritt, hat er gesagt. Weil dann kann er, der Robert, ja doch wieder eintreten als Kanzler. Verstanden?“ Wir schütteln den Kopf. Hohe Politik im Taxi.

„Nur aus der FDP da wird so schnell niemand zurücktreten“, prognostiziert Alban Vogli, und wie durch ein Wunder nimmt unser Gefährt gerade wieder an Fahrt auf. „Die FDP hat sich so überflüssig gemacht, dass sie sich von selbst erledigt. Ohne Rücktritte!“

Darauf noch einen aecht altbayerischen Schmalzler Schnupftabak. Als wir schließlich keine drei Stunden nach Taxifahrtantritt endlich vor unser privaten Behausung stehen, erzählt Alban Vogli noch eine finale Rücktrittscausa: „Der Scheuer Andi, dieser CSU-Mann, der fährt immer mit mir, wenn er in Berlin ist. Minister ist er ja längst nicht mehr, aber bescheuert, obwohl man ja nicht über Kunden lästern soll.“

„Und?“, wollen wir wissen. „Also, der Scheuer Andi ist jetzt auch nicht mehr Stadtrat in Passau dort unten. Weil, ‚ich gehe im Zorn dort!‘, hat er gerufen und ist von der Rückbank aus meinem Taxi in die Berliner Nacht gesprungen.“

Und was ist mit Markus Söder? Dem bayerischen Lautsprecher? „Ach, der Markus. Keine Sorge. Der bleibt ewig. Wer, glauben Sie, hat mir den Schmalzler geschenkt? Na? Eben!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!