Die Wahrheit: Ebbe in Walhalla
Auf Wagners Bayreuther Hügel herrscht 2024 Geldmangel. Besuch bei Proben, die am Hungertuch nagen, selbst Til Schweiger muss ran.
Als wir uns dem Bayreuther Festspielhaus nähern, zerreißt schrilles Kreischen mehrfach die frühsommerliche Stille. Was immer dort im altehrwürdigen Prachtbau auch passiert, es kann nichts Gutes sein. Vor dem Haupteingang wartet zum Glück schon Katharina Wagner auf uns.
„Alles in bester Ordnung“, versichert uns die Festspielleiterin und Urenkelin des Monumentalkomponisten. Wegen angeblicher Todesschreie musste sie bereits dreimal die Kriminalpolizei abwimmeln.
„Ermordet werden hier leider nur die Festspiele!“ Wie uns die 45-Jährige berichtet, hat der Förderverein das Budget für die Spielzeit 2024 extrem zusammengekürzt. „Mit einer guten Million weniger sind qualitative Abstriche natürlich unvermeidlich. Hier entlang, bitte.“
Die vom Elend schwer gezeichnete Theaterwissenschaftlerlin führt uns in den Innenraum, wo gerade intensiv geprobt wird. Nach dem Durchqueren des beeindruckenden Auditoriums bleiben wir vor der Abbruchkante des Orchestergrabens stehen. Wagner leuchtet mit der Taschenlampe in die Tiefe. Der Strahl fällt auf ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das den „Einzug der Götter nach Walhalla“ auf der Blockflöte begleitet. „Mehr ist in diesem Jahr nicht drin“, schluchzt die Festivalchefin, die aber verspricht, das Ein-Frau-Orchester noch mit der ein oder anderen Triangel zu verstärken.
Herber Verlust des Goldschatzes
Auf der Bühne erwartet uns eine faustdicke Überraschung. Barbara Schöneberger, Matthias Schweighöfer und Jan Josef Liefers beklagen in weißen Kleidern und mit hüftlanger Haarpracht als „Rheintöchter“ den Verlust ihres Goldschatzes. So weit soll es mit dem Wagner’schen Familienvermögen allerdings nicht kommen. „Wie Sie sehen, haben wir einige Rollen an unmusikalische, aber solvente Celebrities verscherbelt. Die können sich hier gegen ein paar tausend Euro Gebühr ihren Traum von der ganz großen Bühne erfüllen“, muss Wagner gegen die grundschief vorgetragene Arie anbrüllen.
„Zum zahlenden Ensemble gehört leider auch Til Schweiger, der seine Rolle als griesgrämiger Hagen von Tronje so verinnerlicht hat, dass er unseren Siegfried Jan Böhmermann auch noch nach Feierabend stalkt. Sie wissen schon, um ihn beim Baden in Drachenblut zu erwischen und dann seine verwundbare Stelle mit dem Speer zu pieken. Glücklicherweise kann man Til mit einem Sechserpack Bierdosen relativ schnell weglocken. Kommen Sie.“
Die traurige Spielleiterin führt uns backstage in den Bereich, in dem sich für gewöhnlich die Garderoben der Künstler befinden. Sie öffnet schwungvoll eine der Türen und zeigt uns exemplarisch einen jungen Mann, der im Schein einer nackten Glühbirne gerade Ravioli aus der Dose futtert. „Weil sich unsere Opernstars netterweise schon zu Hause in Schale werfen und in voller Montur als Wotan oder Kriemhild mit dem Bus kommen, können wir ihre Umkleidekabinen für 2.000 Euro kalt an Studenten vermieten“, wirft die Wohnungsnotnutzerin lamentierend die Hände in die Luft.
Vegane Pausenbratwurst für Söder
Zur Rettung von Festspiel und Familienehre hat sie aber noch mehr Konsolidierungsmöglichkeiten am Start. So ist der Champagner für die Ehrengäste gestrichen und die vegane Pausenbratwurst für Markus Söder kostet satte 45 Euro. „Der ahnungslose Herr Söder glaubt wahrscheinlich, er hätte Schwein, aber er zahlt ja sowieso nicht aus eigener Tasche“, brummelt Wagner.
Einen weiteren Schritt Richtung schwarze Zahlen könnte die alljährliche Klassik-Sause schon am Abend der Premierenfeier im Juli machen. „Wenn die Prominenten ihre sündhaft teuren Designerjacken und brokatbestickten Hermelinmäntel an der Garderobe abgeben, werden die sofort konfisziert und bei Ebay versteigert. Im Anschluss an die Vorstellung gibt es dann einen ähnlich aussehenden Billigfummel aus unserem Kostümfundus zurück.“
Nachdem uns Wagner gezwungen hat, den Rheintöchtern Floßhilde, Wellgunde und Woglinde ein weiteres Mal zuzuhören, schleppen wir uns mit mächtig viel Flussrauschen in den Ohren Richtung Ausgang. Dort versperren zwei lächerlich aussehende Türsteher in Walküren-Verkleidung den Weg und strecken uns fordernd die Handflächen entgegen.
„Ach ja“, grinst Wagner, „den größten Umsatz machen wir voraussichtlich, wenn unsere Rumpftruppe auf der Bühne loslegt und alle spätestens nach 15 Minuten rauswollen. Das kostet.“ Uns dämmert langsam, woher die verzweifelten Schreie zu Beginn unseres Besuchs kamen. Den mittleren dreistelligen Betrag als Preis für unsere Freiheit nehmen wir als notwendiges Übel hin. Bloß raus hier!
Die gute Nachricht: Am Ende bleibt von unseren Ersparnissen dann gerade doch noch so viel übrig, dass wir uns zwei Karten für das nächste Wacken Open Air leisten können. Womöglich wäre Richard Wagner in diesem Jahr sogar mitgekommen.
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