Die Wahrheit: Sprudeln wie im Champagner-Bad
In der Nordsee sollen ab sofort die Dinosaurier der fossilen Energie aufgeweckt und umgewidmet werden. Der Klimakiller CO2 als neuer Spaßfaktor.
Wir wollen das wertvolle Kohlendioxid ja nicht bloß sinnlos herumliegen lassen, wir wollen unsere deutsche Nordsee zu einem herrlich sprudelnden Naturbad mit hochwertigem Mineral- und Heilwasser entwickeln und gleichzeitig den Klimawandel stoppen oder wenigstens ein bisschen unterhaltsamer gestalten“, brüllt Renate Hubschmidt in den eisigen Märzwind, der die See in der künftigen Hochseeheilbadsonderzone „Entenschnabel“ aufpeitscht.
Bisher wurde in dieser „Ausschließlichen Wirtschaftszone“ in der Deutschen Bucht das Gasfeld A6/B4 ausgebeutet, während das Öl im naturgeschützten Wattenmeer aus dem Ölfeld Mittelplate sprudelt. Außerdem pflügen ganze Armadas riesiger Containerschiffe durch die graugrüne See.
Eisige Nordseewellen schwappen über die Bordwand unseres Schlauchboots, doch Managerin Renate Hubschmidt, deren graues Business-Kostüm mit einem gelben Südwester kontrastiert, glüht vor Enthusiasmus. „Stellen Sie sich einfach ein Bad in Champagner vor“, begeistert sich die Angestellte der Endlager-Holding „Navy CCS“, während ihr die Nordsee eine verstörte Flunder ins Gesicht katapultiert.
Wir sind mit Hubschmidt auf dem Weg zur aufgegebenen Bohrinsel „Schietsand 14“, von der aus Erdöl aus den Feldern „Schnäpel I“ und „Schnäpel II“ extrahiert wurde, bis die Lagerstätten Mitte der achtziger Jahre erschöpft waren. Nun soll der rostige Goliath, der wie ein Dinosaurier des fossilen Zeitalters aus der Nordsee ragt, zu neuem Leben erweckt werden.
Letzte poröse Ruhe
Denn in die leergepumpten Offshore-Quellen soll der Klimakiller CO2 zur letzten Ruhe unter porösem Sandstein gepresst werden. Mit Ewigkeitslasten kennt sich die optimisch strahlende Frau Hubschmidt aus, zuvor war die Carbon-Storage-Managerin für das Nachhaltigkeitskonzept des undichten Atommülllagers in den Salzschächten von Asse II verantwortlich.
Erst kürzlich hat Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündet, die umstrittene Lager-Technologie „Carbon Capture and Storage“ (CCS) in Deutschland zu erlauben. Dabei wird klimaschädliches Kohlendioxid, das in der Industrie anfällt, in einem energieaufwendigen Verfahren abgeschieden und verflüssigt in geologischen Formationen gespeichert.
Als Anwendungsgebiet der dem grünen Minister zufolge „sicheren Technik“ kommt nur der Meeresboden der Nordsee infrage. In der Nähe menschlicher Siedlungen an Land soll die ganz und gar unbedenkliche Prozedur allerdings verboten bleiben.
„Sollte das Kohlendioxid nicht so fest im Gestein eingeschlossen werden, dass es eben nicht entweicht?“, brüllen wir zurück. Hubschmidt gestikuliert entschuldigend und zuckt mit den Schultern. Sie kann uns nicht hören, meint sie.
Dabei sind wir den tosenden Wellen und dem lärmenden Außenborder längst entkommen. Wir haben sogar schon alle 358 glitschigen Stufen zur Bohrplattform erklommen und sitzen in einem Bürocontainer auf dem Stahlungetüm. Von der Wand lächelt uns ein vergilbtes Pin-up vom Mai 1985 an, das bloß mit einem Sicherheitshelm und einem Schraubenschlüssel bekleidet ist.
„Ist CCS nicht viel zu riskant?!“, schreien wir noch lauter. Immerhin drohen neben CO2-Lecks, die das Meerwasser versauern und Artensterben beschleunigen, sogar Erdbeben. Denn beim Verpressen von Flüssiggas entsteht gewaltiger Druck im Gestein, der sich in seismischen Stößen lösen kann.
Hubschmidt hebt die Achseln und weist auf ihre schalldichten Ohrenschützer. Für Mitarbeiter sind sie auch auf der stillgelegten Plattform Pflicht, signalisiert sie uns. Dann schiebt sie eine VHS-Kassette in den Schacht eines Videorekorders auf einem altertümlichen Medienwagen. Der Röhrenfernseher brummt, ein Werbefilm flackert auf die Mattscheibe, der die Segnungen der Hochseeheilbadsonderzone preist.
Glückliche Kinder tollen in Kohlensäure
Wir sehen glückliche Kinder in kohlensäurehaltigen Nordseewellen tollen, am Strand prosten sich ihre Eltern mit Prickelbrause mit Zitronengeschmack zu. Doch höchstens ein paar Promille des Kohlendioxids, verspricht ein seriös gekleideter Werbebotschafter, treten aus den Lagerstätten aus und werden im Meerwasser zu Kohlensäure. Allerdings sind das bei 15 Millionen Tonnen, die an unvermeidbaren CO2-Emissionen pro Jahr gelagert werden müssten, recht viele lustige Blubberbläschen.
Im Video verteilt ein Lifeguard pH-Test-Streifen zur Säuremessung an Badende und kündigt launig das nächste Erdbeben an. „Jetzt wieder mitmachen!“, ruft er. „Die nächste Tsunamiwelle geht rückwärts!“ Dann sehen wir die gesamte Insel Sylt unter einer Monsterwoge verschwinden, als Atoll aus Eilanden und Halligen taucht das Urlaubsparadies wieder auf.
Eine Frauenstimme spricht von einer „Dynamisierung des Urlaubgeschehens“ und schwärmt von den Reizen einer variablen Küstenlandschaft. Beim nächsten Erdbeben erhebt sich die Doggerbank aus den Fluten. Wir schauen einer munteren Gruppe beim Spaziergang nach England zu.
Den längsten Wanderspaß seit der Eiszeit verspricht das Firmenvideo, während die Wissenschaft die seismischen Risiken von CCS bislang für kalkulierbar hält und nur „leichte Erdbeben“ erwartet. Ganze 1.600 dieser leichten Erschütterungen hatten über Jahrzehnte die Einwohner der niederländischen Stadt Groningen zu erdulden, unter deren wackelnden Häusern das größte Erdgasfeld Europas ausgebeutet wurde.
Jähe Störung durch Nebelhorn
Jäh reißt uns ein lautes Nebelhorn vom Bürostuhl. Renate Hubschmidt nimmt ihren Gehörschutz ab. „Da sind Sie ja endlich!“, meint die Managerin fröhlich. Vor die Bohrinsel schiebt sich ein riesiger Pott. Der Frachter zieht eine stinkende, in Regenbogenfarben schillernde Spur im Kielwasser hinter sich, die beinahe bis zum Horizont reicht.
„Ist das schon das erste Schiff mit verflüssigtem Kohlendioxid?“, wollen wir wissen. „Unsinn, erst einmal wollen wir unseren Nordseesprudel mit wertvollen Spurenelementen und Mineralien versetzen. Ein wenig Schwefel, ein bisschen Eisen“, gibt Hubschmidt zur Antwort.
Ein Blick ins Schiffsregister bringt Aufschluss. Das uralte Verklappungsschiff „Kronos“ leitet wieder Eisen-Kalium-Hydrat-Sulfat und schwefelige Dünnsäure ins Meer. „Jetzt ist ja auch egal“, heißt es in der erstmals seit 1989 vom Umweltministerium erteilten Erlaubnis. Die sichtlich aufgewühlte Nordsee peitscht uns giftig ihre Gischt ins Gesicht. „Herrlich“, jubelt Renate Hubschmidt und leckt sich die salzigen Lippen, „fehlt nur ein bisschen Kohlensäure.“
Das Fun- und Stahlbad Nordsee steht für alle Schandtaten bereit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht