Die Wahrheit: Tür und Tor für Tüten
Die bislang nicht nur geistig abgestorbene bayerische Grenzstadt Passau wird das neue Amsterdam, wenn es demnächst mit Hasch geflutet wird.
Noch dümpelt sie dahin, die liebliche Kleinstadt an den drei Flüssen und der Grenze zu Österreich. Rund 50.000 Einwohner, hauptsächlich Grenzpolizisten mit oder ohne Schäferhund oder Studierende der Militärwissenschaft, warten hier auf den Tod oder auf eine Entgrenzung, die so hoffentlich nie wieder stattfinden wird. Ja, Passau ist der Inbegriff einer indiedonausturzlangweiligen Stadt, in der nicht mehr passiert, als dass Züge an der Grenzstation nach fremdländischen Besuchern durchkämmt und ins Irgendwo weitergeschickt werden.
Alle Jahrhunderte lässt Gott die drei Flüsse anschwellen, um eine deutliche Warnung auszusprechen, aber die Bewohner der leider auch geistig ausgestorbenen Stadt reagieren darauf stets mit Gleichmut und einem Renovierungswahn, der sich flussgewaschen hat. Ja, schön ist sie, die Grenzstadt, schön und todlangweilig wie eine schlafende Prinzessin.
Doch jetzt soll sich alles ändern. Glaubt man ausländischen Medien, vornehmlich österreichischen, steht Passau nämlich vor einer blühenden Zukunft. Und schuld daran, wer hätte es für möglich gehalten, ist der Klabauterbach. Beziehungsweise die Cannabis-Legalisierung, die am 1. April dieses Jahres tatsächlich in Kraft treten soll – und kein Scherz ist. Und doch klingeln nicht nur im Passauer Dom die Alarmglocken: „Passau darf nicht Amsterdam werden“, betitelten die OÖNachrichten einen Bericht des Journalisten Valentin Berghammer (Name von der Redaktion nicht ausgedacht, die Red.). Das krude doppelvokalige „OÖ“, das ein wenig nach WC riecht, steht übrigens für „Oberösterreich“, also die Gegend auf der anderen Seite des Zauns.
Bislang gab es in Passau ja nicht viel mehr als den „politischen“ Aschermittwoch, bei dem humpenweise bayerisches Bier in eh schon voluminöse Politärsche mit entsprechend fortgeschrittener Gehirnzellenabsterbung geschüttet wird. Neulich war sogar Frau Wagenknecht da, wie Valentin Berghammer nicht berichtet, und trank Rotwein statt Löwenbräu oder Augustiner. Doch jetzt steht die Passauer Altstadt, also das gesamte Passau, vor so etwas wie einer neuen Hochzeit. Hochzeit wie in „high“. Hihi.
Knalligste Farben
Passau – das neue Amsterdam! Das wäre doch etwas! Stadtbaurat Christian Einziger (Name von der Redaktion erfunden, die Red.) malt sich das Szenario bereits in den knalligsten Farben aus: Überall in den sonst leergefegten Fußgängerzonen gibt es plötzlich prall gefüllte Coffeeshops. Die Kifferjugend Österreichs, fesche Buam, dirndlbefreite Madels, dösen friedlich auf den frisch gestrichenen Parkbänken entlang der neuen Grachten, die nur noch den Ureinwohnern als Donau, Inn und Ilz bekannt sind! Geile Musik von Bob Marley bläst endlich die olle Blasmusik aus der Stadt! Eine vollgetaggte Veste Oberhaus! Ein Rotlichtviertel entsteht mit guter Durchmischung und mit selbstbewussten freien Frauen in einladenden Schaufenstern! Dem Stadtbaurat entweichen dicke Tränen der Rührung, wenn er nur daran denkt.
Anders denken da die „Volksparteien“ ÖVP und CSU, schenkt man dem Alarmisten Valentin Bergmeister und seinem Artikel den rechten Glauben. Sie befürchten „massive, negative Auswirkungen auf den Jugend- und Gesundheitsschutz sowie die Sicherheit auf den Straßen“; der oberösterreichische VP-Landesgeschäftsführer, Florian Hiegelsberger (Name wie im zitierten Artikel vorgefunden, die Red.) und der stellvertretende Kreisvorsitzende der CSU Passau-Land, Stephan Dorn (echt wie der im Auge, Anm. der Red.), verliehen diesen Befürchtungen anlässlich einer gewohnt feuchtfröhlichen Pressekonferenz Ausdruck. Dabei durfte das Klischee von Cannabis als Einstiegsdroge nicht fehlen: „Mit der Einstiegssubstanz Cannabis sieht Hiegelsberger Tür und Tor für weitere harte Drogen geöffnet.“
Feuchtfröhliche Befürchtungen
Die Grenzstadt öffnet Tür und Tor! Darum geht es ja, sagt der Amtsbaurat. Etwas Weltgeist reinlassen, Internationalität, Umschlagplatz, auch die Süßigkeitenindustrie frohlockt, das sind doch die Schlagworte, so der Bauamtsrat in einem für ihn seltenen emotionalen Ausbruch.
Man überlege sogar, einen Miniaturnachbau des Rijksmuseums zu errichten, um den Ruf des neuen Amsterdams zu bekräftigen. Neue Bilder von van Gogh sind schon in Auftrag gegeben worden, auf etwas zwielichtigen Wegen, aber so gehört sich das wohl in Zukunft, so der Stadtamtsrat, an dem nicht nur die geröteten Augen auffällig sind. Auch an eine Zweigstelle des Anne-Frank-Hauses habe man gedacht, das aber wegen politisch heikel wieder verworfen, gerade in der heutigen Zeit, so der Amtsarzt.
Und die Jugend von Passau, wie sieht die das? Die freut sich wie Knolle und Bolle. Endlich nicht mehr Tschechien! So die etwas seltsame Antwort der Nachwuchs-Schmuggler. Na, wir werden sehen, wie es passaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Kurdische Gebiete unter Beschuss
Stoppt die Angriffe Erdoğans auf die Kurden in Syrien!