Die Wahrheit: Alles oder nichts leichter als das!

Die Klügere gibt nach: In New York versuchen die Vereinten Nationen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz den Nahostkonflikt zu lösen.

Cartoon: Ein Roboter sitzt in einem Fernsehsessel und fragt entsetzt: „Was? Ich soll die Welt retten?" Im Fernseher sind Dick und Doof zu sehen

Illustration: Ari Plikat

New York. Vor dem UN-Hauptquartier. Ein Donut-Stand. Hier findet ein Ereignis statt mit gravierenden Auswirkungen auf die gesamte Menschheit. Denn der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weigert sich, das UN-Gebäude zu betreten, zu tief steckt noch der Stachel der Rede von António Guterres im Sicherheitsrat. So wird „das Ereignis“ auch nicht vom UNO-Generalsekretär oder seiner Stellvertreterin geleitet; in intensiven Geheimverhandlungen unter Vermittlung Vanuatus fiel die Wahl auf Sonam Phurba, die ständige Sekretärin des UN-Facility Management, eine Buddhistin aus dem Königreich Buthan.

Mitglieder der Hamas sind nicht zugegen, aber eingedenk unzähliger Palästina-Flaggen auf dem United Nations Plaza geht man davon aus, dass auch sie live dabei ist. Strengste Geheimhaltung war vereinbart worden, aber offenbar wurde das Ereignis durchgestochen, dutzende Satellitenschüsseln zeugen davon. Friedensgebete aller Religionen wehen vereint über die First Avenue. Über dem Donut-Shop kreisen Kameradrohnen und yogische Flieger. „Das ist ja wie Frieden hier“, seufzt eine Passantin.

In einem hastig errichteten Zelt, einst Feldküche einer Blauhelm-Mission, wurde ein Kontrollraum improvisiert, in dem führende Kybernetiker und Nasdeq-Mogule der Weltöffentlichkeit zu erklären versuchen, was nun passieren wird. Nur Elon Musk hat sich in seinen Bunker auf einer neuseeländischen Schaffarm zurückgezogen und verkündet per X: „Das Ende ist nah!“

Ansonsten sind sie alle da: das Ehepaar Gates, Sundar Pichai von Google, Mark Zuckerberg, Tim Cook, sogar eine Scheibe des tiefgefrorenen Hirns von Steve Jobs ist online zugeschaltet. Gemeinsam stehen sie im Kreis, halten sich an den Händen und intonieren: „Hevenu shalom alechem!“

Kein Wort mehr vom erbitterten Streit, an wessen Endgerät das Ereignis stattfinden soll, nur ein paar Bissspuren und Blutergüsse in den Gesichtern zeugen davon. Doch Sonam Phurba entschied, sie hätte „für solche Kinderkacke keine Zeit“. Wenn sie nicht bald nach Haus zu ihrer Katze käme, scheiße die wieder die ganze Wohnung voll. So steht auf dem Donut-Tresen ein betagter No-Name-Laptop von Walmart. Entscheidend ist ohnehin nur, womit das abgeschabte Gerät verbunden ist. Und das ist in der Tat eine Weltsensation.

Das gesamte Weltwissen aller Anbieter wird zusammengeschaltet

Melissa Frites, Professorin am Einstein Institution for Incredible Intelligence, erklärt uns: „Dies ist der öffentliche Betatest der ersten Meta-KI, also einer künstlichen Intelligenz, die nicht nur Zugriff auf das gesamte Weltwissen hat, sondern obendrein die KIs aller Anbieter zusammenschaltet, sodass die KI sich diskursiv selbst reflektiert. Wir sprechen da von DeepThinking. Irgendwas mit Quanten ist auch dabei, aber das verstehe ich selbst nicht.“

Und das bedeutet? „Wir haben es hier nicht mehr mit einer einfachen KI zu tun, sondern mit einer hochbegabten!“ Daher trage ihr Interface auch „Genius“ als zweiten Vornamen: Chat-GGPT.

Es ist genau zwölf Uhr. In der ganzen Stadt läuten die Glocken. Mucksmäuschenstill wird es, man könnte eine Micro-SD-Karte auf den Boden fallen hören, als Sonam Phurba die erste von drei Testfragen eingibt: „Was ist der Sinn des Lebens?“ Ohne Verzögerung erscheint „42“ im Fenster, und Phurba nickt anerkennend. Richtige Antwort in unter einer Zehntelsekunde.

Für die zweite Frage braucht ChatGGPT deutlich länger – etwa vier Sekunden: „Wie beenden wir Krieg?“ Vier bange Sekunden starrt die Welt gebannt auf ein Eingabefester. Inzwischen dürften mehr Menschen an den Bildschirmen hängen als bei der Mondlandung oder beim Eurovision Song Contest. Dann leuchten 16 Lettern auf: „Just stop shooting.“

Nach einem kurzen Moment bassen Erstaunens bricht ein ohrenbetäubender Applaus los. Menschen fallen sich jubelnd in die Arme. Freudenschüsse werden in die Luft abgefeuert, mehrere Schaulustige fallen tot von ihren Balkonen. Es braucht eine halbe Stunde, bis sich New York so weit beruhigt hat, dass die UN-Welthausmeisterin die dritte Frage stellen kann. Die, derentwegen alle hergekommen sind: „ChatGGPT, bitte sag uns …“, die Menschheit hält den Atem an: „Wie lösen wir den Nahostkonflikt?“

Die Stille ist unerträglich. Außer einem Cursor bewegt sich minutenlang nichts im Eingabefenster. Womit hat man die Meta-KI nicht alles gefüttert: die gesamte Geschichtsschreibung des Nahen Ostens, Thora, Bibel, Koran, sie erhielt Zugang zu sämtlichen Datenbanken der Welt, ausgenommen NSA, Vatikan und Schweizer Banken, sogar ein Schulaufsatz von Judith Butler über ihr schönstes Ferienerlebnis wurde noch hastig eingescannt.

Doch das Eingabefenster bleibt leer. Über New York schwebt eine Spannung, unerträglicher noch als jener Moment, wenn Sonja Zietlow bei RTL verkündet, wer das Dschungelcamp verlassen muss. Selbst in Gaza-Stadt und Tel Aviv detoniert für ein paar Minuten keine einzige Bombe. Dann flimmert das Ein-gabefenster kurz und es erscheint: „404 not found.“

Sonam Phurba schaut vollkommen verunsichert zu ihrem Team um sich herum. Hektische Betriebsamkeit bricht aus. „Wie bitte? Ich habe dich nicht verstanden“, tippt sie, und es erscheint: „This service is temporarily unavailable, please try again later.“

Sämtliche Bildschirme zeigen nur noch ein historisches Testbild

Ungläubige Schreie ertönen aus dem Zelt von Mission Control, plötzlich zeigen sämtliche KI-Interfaces wahllose wirre Fehlermeldungen: „404“, „Fehler 502“, „kein Anschluss unter dieser Nummer“ oder „Böschungsbrand bei Bielefeld“.

Sämtliche angeschlossenen bildgenerierenden künstlichen Intelligenzen werfen nur noch ein historisches Testbild von TV Albania aus. Ein Knall ertönt, als sich ein erster Programmierer erschießt, mit einem weiteren Knall fliegt ein Champagnerkorken durch die Luft, und zwei OpenAI-Koryphäen stoßen an. In Neuseeland opfert Elon Musk ein Schaf.

Zwei Stunden später: Die Menschenmenge hat sich zerstreut. Wasserwerfer versuchen, eine multireligiöse Massenschlägerei aufzulösen. Melissa Frites steht nachdenklich vorm Mission-Control-Zelt, aus dem nur noch heftiges Schluchzen dringt. Die KI ist fort, der Nahostkonflikt bleibt. War es wirklich ein globaler Systemabsturz, wie erste Analysten unken?

„Ich glaube nicht“, mutmaßt Melissa Frites. „Ich denke, die KI hat einfach eine neue Bewusstseinsstufe erreicht: Sie ist zu klug für uns geworden und hat daraus die einzig logische Schlussfolgerung gezogen: Mit der Menschheit will sie nichts mehr zu tun haben.“ Die Zukunftsforscherin seufzt leise. „Eine andere Erklärung gibt es nicht. Im Grunde macht es die KI wie Albert Einstein: Sie streckt uns allen die Zunge raus.“

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