Die Wahrheit: Klamm, klammer, am klammsten

Das einstige Wirtschaftswunderland Deutschland ist nicht mal mehr im Traum, sondern nur noch in einem Themenpark zu retten.

Ein bunter Cartoon, eine Reporterin hält einem Politiker ein angebissenes Mikro hin, fragt ihn: So schlimm???

Illustration: Katharina Greve

Brigitte Brettmann ächzt und stöhnt. Eben noch hat sie den letzten Klappstuhl aus deutscher Hartschalenproduktion auf die rutschige und abschüssige Freilichtbühne geschleppt. Jetzt seufzt sie: „Deutschland ist krank, aber das war nicht immer so!“

Die korpulente Endsechzigerin ist Betreiberin des „Café zur fröhlichen Gesinnung“ und derzeit alles andere als fröhlich. „Früher gab es ja immer noch einen Arzt für das kranke Deutschland, da gab es Kohl, und, wie hieß der noch, der Norbert Blüm, dieser kleine Arbeitsminister mit der kleinen Brille.“ Brettmann wischt die schwarzrotgoldenen Plastiktischdecken akurat ab, dann schreibt sie „Napfkuchen mit Sahne und Pott Kaffee“ auf eine Tafel und darunter „24,80€! Nur in bar!“.

Aber jetzt sei alles kaputt in und um Deutschland, wegen Inflation und Habeck und so, „und wissen Sie noch, was der Blüm damals in den Achtzigern hat plakatieren lassen: ‚Denn eins ist sicher: Die Rente.‘ Da kann ich doch heute nur lachen.“

Brettmann lacht nicht, dafür kramt sie aus ihrem voluminösen, schrankartigen Hausanzug einen riesigen Bund Schlüssel. Sie winkt uns verschwörerisch heran. „Jetzt zeige ich Ihnen mal, wo Deutschland noch funktioniert wie eh und je, wie einst und wie früher! Kommen Sie, staunen Sie!“

Behände wirft sie uns eine unförmige Schlafmütze über. Wenige Meter später herrscht Brettmann uns am Echtholzeingang mit schwerer Laminattür an: „Schuhe aus!“ In klobigen Filzhausschuhen dürfen wir schließlich „Die BRD“ betreten. Im gleichlautenden Themenpark ist an diesem sonnigen Freitagnachmittag bereits mächtig was los. Erst aber müssen wir bei der eigentlich vor rund 20 Jahren verstorbenen, doch hier wieder auferstandenen Volksmimin Inge Meysel an der „Spardose“ unseren Eintritt bezahlen.

Getränke- und Verzehrgutscheine in Mark

„Männer hier rechts entlang, die blechen bei Fips Asmussen“, feixt Brigitte Brettmann. Wir zahlen bei Inge Meysel die 15 Euro Eintritt für den Themenpark „Die BRD“, dafür bekommen wir Getränke- und Verzehrgutscheine in Höhe von „24 Mark und 80 Pfennige“ ausgehändigt. Derart wehrhaft ausgerüstet, starten wir unsere Expedition ins satte Westdeutschland. Natürlich rezessions- sowie komplett problemfrei und „mit funktionierenden Ampeln ohne Ampelmännchen“, wie uns Brettmann stolz wie Bolle erklärt.

Richtig: Vor jeder Attraktion hier im Themenpark „Die BRD“ müssen wir an der Ampel warten, bis sie auf Grün springt. „Das echte Grün, nicht das Grün von dieser Habeck-Partei“, ruft ein bierbäuchiger Mann, der nur mit weißen Socken, Kunstledersandalen und einem klappbaren Tischgrill bekleidet ist. Brigitte Brettmann reckt den Daumen nach oben.

Wir holen uns zum Ankommen erstmal eine „Fanta von früher“, wie eine Schiefertafel verrät, zahlen 1 Mark 40 dafür und geben 10 Pfennig Trinkgeld. Gut, dass wir dabei nicht ins Schwitzen kommen, wie auch, wir stehen hier im Themenpark „Die BRD“ und vor den hessischen Toren von Kassel im Schatten einer riesigen Helmut-Kohl-Statue zum Drumherumgehen und zum Anfassen. Material: „156.976 Kilo Pfälzer Saumagen“, wie uns eine mächtige Plakette am Fuße des ehemaligen „Kanzler der deutschen Einheit und Ehemann von Hannelore Kohl“ verrät. Verschraubt ist die „17 Meter 45“ hohe Kohl-Statue mit „43.596 Pfälzer Bratwürsten“, ihr Gesamtumfang beträgt mehr als 37 Kubikmeter Kohl.

Im fußläufigen Bereich des Altkanzlers sind überall an ihm kleine bunte Vorhängeschlösser angebracht. Liebesschlössern gleich, sind auf ihnen Huldigungen eingraviert, Neckereien und Nettigkeiten für das „politische Schwergewicht“, wie es auf einem Schloss vermerkt ist. „Kohl war klasse!“, steht auf einem schwarzen Schloss, „Mehr davon! auf einem anderen – und auf einem dritten sogar „Gorbi, ich will ein Kind von dir!“. Sachen gibts.

Brigitte Brettmann zieht uns ungeduldig weiter. „Kennen Sie schon die sieben Brücken?“ Uns fällt nichts mehr als der Songtitel des Altbarden Peter Maffay „Über sieben Brücken musst du gehn“ ein, und tatsächlich: Hier im Themenpark „Die BRD“ sind die sieben Brücken des Maffay authentisch nachgebaut. Ein Wunder! „Manchmal greift man nach der ganzen Welt / Manchmal meint man dass der Glücksstern fällt / Manchmal nimmt man wo man lieber gibt / Manchmal hasst man das was man doch liebt“, trällert es das erhabene Trottoir entlang. Als wir an der sechsten Vollpfostenbrücke anlangen, wummert es in ganzer Lautstärke: „Über sieben Brücken musst du gehen / Sieben dunkle Jahre überstehn / Sieben Mal wirst du die Asche sein /Aber einmal auch der helle Schein“. Magisch! Das ist sie, die neue Losung für das aktuell darniederliegende Gesamtdeutschland! Oder etwa nicht?

Kurzfristig macht sich Ernüchterung bei uns breit. Leider ist das „BRD-Eisenbähnchen“, das durch den Themenpark zuckelt, uns just vor der Nase davongefahren – hier, an der siebten Brücke des Maffay. Das nächste „BRD-Eisenbähnchen“, so entnehmen wir dem schlecht fotokopierten Fahrplanaushang, wird uns erst wieder in vier Stunden aufsammeln können. Uns durchzuckt ein Déjà-Vu, die Bahn war also auch schon im alten, so wunderbaren Westdeutschland ein Desaster!

Brigitte Brettmann, Café-Betreiberin

„Früher gab es ja immer noch einen Arzt für

das kranke Deutschland,

da gab es Kohl und,

wie hieß der doch –Blüm“

Davon lassen wir uns aber in „Die BRD“ nicht beirren. Und so machen wir uns in Hausschuhen, mit Fanta und Brigitte Brettmann bewaffnet, weiter zu Fuß auf die Suche nach dem alten und neuen deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftswunder. Lässig laufen wir an der nächsten Themenparkecke auf einem keck abgestellten grünen Laufband „Modell Joschka Fischer“ einen kurzen Lauf zu uns selbst.

Da der aber völlig ergebnislos bleibt, strunckeln wir weiter in Richtung eines hohen und gelben Wagens, auf dem uns ein pappnasiger Aufsteller des hochprozentigen Liberalen Walter Scheel frohgemut und laut singend zuwinkt. „Hoch auf dem gelben Wagen / Sitz ich beim Schwager vorn / Vorwärts die Rosse traben /Lustig schmettert das Horn / Felder, Wiesen und Auen / Leuchtendes Ährengold / Ich möchte so gern noch schauen / Aber der Wagen der rollt“.

Brigitte Brettmann klopft sich und uns auf die breiten Schultern. „Bingo, der Wagen, der rollt, das ist es!“ Wir fahren jäh hoch, unser Rotorwecker aus den 1980er-Jahren reißt uns aus traumhaftem Schlaf. Dass am deutschen Auto Deutschland und die Welt genesen soll, glauben wir einfach nicht. Auch dann nicht, wenn die Idee im Themenpark „Die BRD“ entstanden ist.

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