Die Wahrheit: Einer flog unter dem Radar
Wahrheit exklusiv: Vögel im Widerstand. Ein klandestiner Besuch bei praktischen Raben und krähenden Krähen, die ihren Protest ins Angewandte drehen.
Irgendwo in einem Industriegebiet am Rande von Aachen. Sie krächzen und pfeifen, sie trillern und flöten. Mehr über den Ort der Widerständler dürfen wir hier nicht verraten. Das ist die Bedingung für unseren Besuch bei diesem ganz besonderen Vogelschlag – Raben, die sich wehren. Denn wo andere Vögel aus Protest gegen Energieverschwendung aktivistisch sinnlos gegen einfachverglaste Fenster fliegen oder sich ihre Wut beim Scheißen auf Autodächer erschöpft, drehen die Aachener Raben den Protest ins Angewandte: Sie bauen aus Vogelabwehrspießen Nester. Weshalb sie bereits nach eigenen Angaben ins Fadenkreuz der nordrhein-westfälischen Sicherheitsorgane geraten sind.
Entsprechend schwierig gestaltet sich im Vorfeld unseres Recherchebesuchs die Terminfindung über X-Twitter und den Instant Messenger Pidgin für ein Treffen. Denn die klandestinen Raben lassen sich eben nur äußerst ungern in die Karten schauen. „Aus Vogelabwehrspießen Nester bauen – ist das eine Kunstaktion, ein politisches Statement oder ist das einfach nur praktisch gedacht?“, fragen wir das Oberhaupt der Raben. Das schüttelt geheimnisvoll das Köpfchen. Geschlüpft sei die Idee aus dem Gedanken, dass das Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ in Zeiten von heutiger Ressourcenknappheit „nicht mehr die Lösung“ sein könne. Stattdessen sollten, so der Rabenchef, lieber die „Ausbeutegreifer“, also andere Vögel, „Federn lassen“. Schnell werden wir hier im zugigen Aachener Industriegebiet Zeuge dieser Strategie. Ein Falke greift das gespickte Nest an, seine verlorenen Federn bleiben komplett im Drahtverhau hängen. Wohl der Kreislauf der Natur.
Nachdem wir unsere Handys auf Flugmodus geschaltet haben, um etwaige Überwachung durch die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden zu verhindern, geht es über einen Hinterhof zu einer verlassenen Fabrikhalle. Wir steigen durch ein Loch in einer verwitterten Fabrikmauer. Und dann sehen wir sie endlich in der Abendsonne funkeln: die aus Vogelabwehrspikes gebauten riesigen Widerstandsnester der Raben. Aufgereiht unter den Nestern steht eine bunte Schar an Unterstützern, Punks und linken Aktivisten,aber auch Vogelbeobachtern in khaki Freizeitshorts. Alle beäugen sie uns kritisch.
Nester als Wunderwerk
Trotzdem: Nach letzten Sicherheitsvorkehrungen dürfen wir endlich doch auf eine Leiter steigen und die Nester mit eigenen Augen begutachten. Die Nester sind nicht weniger als ein Wunderwerk tierischer Anpassungsfähigkeit. Bei näherer Betrachtung fällt auf: Sie bestehen nicht nur aus Vogelabwehr-Spikes, sondern aus allen erdenklichen Arten von Stadtmüll, zusammengehalten von rechtsradikalen Stickern, die die Vögel überall in der Stadt abpicken und für den Nestbau verwenden.
Steckt hier der Kern für eine kommende subversive Aktionen? Da seien sich die Avus-Tiere nicht ganz sicher, es gäbe Flügelkämpfe, meint der Oberrabe. Während die Falken für konstanten Widerstand plädierten, zeigen die Tauben ihnen einen Vogel, der auch ohne ständigen Clash mit den Autoritäten ein gutes Leben in der Stadt führt: den Spatz. Letztlich gehe es darum, in Ruhe zu leben und genug Baumaterial zu finden. „Und da sind wir, wie ihr seht, wirklich nicht picky“, meint der Rabe selbstbewusst.
Kampf um Nistplätze
Nachdem wir die Nester ausreichend begutachten und sogar einige Fotos schießen durften, essen wir gemeinsam zu Abend. Es gibt Nüsse, Müsli und Pommes vom Vortag. Wir wollen von den Vögeln hören, ob der Kampf um die Nistplätze nur der Vorbote weiterer schwelender Konflikte zwischen Mensch und Tier im urbanen Raum sei.
„Aber hallo, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, krächzt der Rabe unkend, noch könne allzeit für ein friedliches Zusammenleben gesorgt werden. Und die tierischen Genossen Ratten, Flöhe, Fledermäuse und Wildschweine, „die wissen ja auch genau, wie sie eine Stadt für einen Nachmittag oder deutlich länger lahmlegen können!“
Was nach dem gemachten Nest aus Vogelabwehrspießen noch an widerständigen Methoden im räbischen Widerstand kommt, das weiß bis dato nur ein Unbekannter mit Codenamen Kuckuck.
Eins aber ist sicher für alle Flugtiere, die in Vogelabwehrspießenestern im Aachener Industriegebiet sitzen: Der Flug in den Süden, nach Sharm al- Scheich, zwei Wochen all inclusive! „Auch Widerstand braucht eben manchmal Pause“, doziert zum Abschied der Oberrabe höchstpersönlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe