Die Wahrheit: Ich als bekiffte Neurochirurgin
Jetzt, da Kiffen nach jahrelangem Warten endlich erlaubt sein wird, da geht es nicht mehr. Es ist endgültig vorbei mit Bong und Joint.
W er zu spät komme, heißt es in einer komplett zu Tode zitierten und anschließend an den Füßen zum Vermodern aufgehängten Redewendung russischen Ursprungs, den bestrafe das Leben. Das Leben straft aber auch, wenn man zu früh kommt. Es scheint wirklich sehr geil aufs Bestrafen zu sein, immer feste druff. Um meine Lage jedoch nicht unnötig zu dramatisieren, möchte ich noch mal anders ansetzen …
Wäre ich eine seit zwei Jahren an einer deutschen Klinik beschäftigte Neurochirurgin mit selbst identifiziertem weiblichen, allerdings bei meiner Geburt in Yamoussoukro, das ist die selbst definierte Hauptstadt der Elfenbeinküste, fälschlicherweise zugewiesenem männlichen Geschlecht und der Gewohnheit, mir nach einem harten Tag im OP-Saal zwei oder drei Joints reinzupfeifen, dann würde ich jetzt vermutlich einen rituellen ivorischen Freudentanz aufführen oder wenigstens leise „Yeah!“ sagen.
Denn die Einbürgerung soll beschleunigt, Cannabis legalisiert und eine offizielle Änderung meines Geschlechts erleichtert werden. Ich könnte mich also bald bekifft in eine Männersauna schleichen und mir dort mit einem deutschen Pass ein wenig Luft zufächeln.
Leider bin ich ein Alterweißercisheteronormalmann, eingewandert ganz klassisch durch den Geburtskanal einer deutschen Mutter und vom ersten Tag an mit Einverständnis zu dem mir amtlich zugewiesenen Geschlecht, einem deutschen Pass und einer deutschen Steuernummer gesegnet. Bleibt also nur das Kiffen, dem war ich schon früh hold. Zu früh, wie sich nun herausstellt.
Gleich mehrfach habe ich mich in meinem Leben um meine Zukunft gekifft. Ohne Tetrahydrocannabinol, wer weiß, hätte ich Neurochirurg oder Einbürgerungsbeamter werden können. Und oft in meinem Leben, meistens bekifft, wünschte ich mir nichts sehnlicher als eine Tafel Milka Noisette – oder wenigstens eine Legalisierung von Cannabis, also, amtlich gesprochen, eine Entkriminalisierung meines ordnungswidrigen Treibens.
Und jetzt? Wo es endlich so weit ist? Ist es zu spät. Ich habe vor wenigen Jahren das Gekiffe eingestellt. Es ist, um die Sache nun aber nicht unnötig zu dramatisieren, mit der Zeit irgendwie ausgelaufen wie ein nicht erneuertes Abo. Erst hatte ich einen Tag lang nicht gekifft, arbeitsbedingt. Dann eine Woche, urlaubsbedingt. Danach sogar mal einen Monat, weil ich’s – typisch Kiffer! – irgendwie vergessen hatte. Kürzlich, nach über einem Jahr ohne High, wurde mir in sehr geselliger Runde ein Zug an einem Vaporizer der Marke Crafty angeboten. Ich tanzte einen palatinischen Abwehrtanz und sagte leise: „Nö!“ Es ist vorbei.
Was bedeutet, dass ich wieder von vorne anfangen kann. Mit Selbstgedrehten. Angeblich verlernt man das ja nicht – wie Fahrrad fahren. Wann wird das eigentlich mal erlaubt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis