Die Wahrheit: „Was würde Hopper tun?“
Die längst überfällige Analyse zum Drehbuchstreik der schreibenden Zunft in Hollywood. Jetzt auch mit Hoffnungsschimmer!
„Wir sind selbst schuld an diesem verfluchten Autorenstreik“, übt sich Studioboss Harvey B. „Major“ Prick in Selbstkritik. „Hollywood hat schließlich auch zugelassen, dass übergeschnappte Starlets den Filmbetrieb jahrelang mit ihrem MeToo-Geplärre aufgehalten haben.“ Fast zärtlich, aber im Kern übergriffig streicht Prick mit seiner fleischigen Hand über den speckigen Velourslederbezug seiner Besetzungscouch. „Da war es ja nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Randgruppen aufmucken. Aber ausgerechnet Autoren?“
Der massige Tycoon presst eine Art Lachen durch seine grellweiße Dentalfront, doch die Augen des reichlich holzschnittartig gezeichneten Hollywood-Fossils bleiben kalt. „Beleuchter, Caterer und Drogenhändler, sogar Frauen mögen beim Film ihre Berechtigung, wenn auch garantiert keine Rechte haben. Aber wer braucht schon Autoren?“
Tatsächlich kommen die Storys für die Superheldenfilme, die Prick tatsächlich an einem Fließband produzieren lässt, allesamt aus der Marktforschungsabteilung, in der neben ein paar Reptiloiden in Brooks-Brothers-Anzügen längst nur noch Algorithmen arbeiten.
Doch anderswo zeitigt der aktuelle Streik der traditionsreichen Gewerkschaft Writers Guild of America, in der sich rund 11.500 US-Film-und Fernsehautoren organisiert haben, unangenehme Folgen. Vor allem das Seriengewerbe mit seinem schnellen Umsatz von Geschichten und Stoffen ist betroffen.
Ein Leben abseits des Fernsehsessels?
Fernsehexperten wie die 57-jährige Karen Rose Wino aus einem zweihundert Meilen entfernten Vorort von Dallas haben errechnet, dass der Handlungsvorrat ihrer Daily Soaps bereits in wenigen Wochen erschöpft sein wird. Die Extremzuschauerin hat bereits angefangen, für ein Leben abseits ihres wuchtigen Fernsehsessels zu trainieren.
Mindestens den Weg in die Küche, in der es noch unausgebeutete Weißwein-Lagerstätten geben soll, will die amtsärztlich beglaubigte Couch Potato mit der Hilfe ihrer Haushaltshilfe Lucía-Maria bewältigen. Sogar Spanisch möchte sich die eingetragene Republikanerin von der Domestikin beibringen lassen, um notfalls auf mexikanische Telenovelas ausweichen zu können.
Doch auch prestigeträchtigere und vor allem teurere Projekte als Seifenopern und Late Shows liegen brach. Dunkel und versperrt liegt etwa der Writers Room der international populären Serie „Stranger Things“, deren letzte Staffel wegen des Streiks auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Wo sonst die unheimliche Schattenwelt Upside Down heraufbeschworen wird, langweilen sich ein paar TV-Autoren auf ihrem Streikposten derart, dass sie begonnen haben, den Ausgang der Tarifauseinandersetzung zu skripten.
Showdown mit Netflix-Endboss?
Die drei Kreativen können sich jedoch nicht recht einigen, ob ihr Showdown mit dem menschenfressenden Netflix-Endboss in einem russischen Straflager oder in der Highschool-Aula der Kleinstadt Hawkins stattfinden soll. „Was würde Hopper tun?“, fragen sich die Seriensachverständigen ratlos.
Auch die Arbeit an einem der weit über 100 Spin-offs der beliebten Fantasy-Schlachterei „Game of Thrones“ wurde mittlerweile unterbrochen. Das Prequel „The Hedgefonds Knight“, dessen Handlung auf der akribischen Steuererklärung des Erfolgsautors George R. R. Martin beruht, muss ohne Beteiligung der beiden Showrunner und vor allem ohne Drehbuch weitergeführt werden. „Wir gehen jeden Morgen zum Set, hacken den ganzen Tag wie wild mit Schwertern aufeinander ein und werden dabei gefilmt“, erklärt ein beteiligter Schauspieler. „Irgendetwas Verwertbares wird schon dabei sein, sagen die Produzenten.“
Trotz dieser demonstrativen Gelassenheit ist man in den CEO-Etagen von Streaming-Riesen wie Hulu, Disney+ oder Netflix besorgt. Die horrenden Forderungen der organisierten Autoren könnten die Gewinnerwartungen der Aktionäre bis zu einem tausendstel Prozent enttäuschen. Ohnehin ist die Branche in der Krise, zuletzt sank die Binge-Bereitschaft der Zuschauer.
Durchschnittlich nur noch 17 Stunden täglich verbringen die Konsumenten vor den gestreamten Serien, wirklich komplexe Geschichten lassen sich in diesem engen Zeitfenster natürlich kaum noch erzählen. Zudem altert die glotzende Kundschaft, die großen Konkurrenten der Streamingdienste heißen heute Hirntod, Demenz und Däumchendrehen.
Die Schreiber-Gewerkschaft gibt sich deswegen kämpferisch. Mindestens den 100-tägigen Streik von 2007 will man in den Schatten stellen. Damals weigerten sich die Kreativen unter anderem, das Drehbuch des Bond-Films „A Quantum of Solace“ zu beenden. Der Streifen musste deswegen als bewaffnetes Improtheater mit einem schmerzhaft überforderten Daniel Craig verfilmt werden.
Die Drohung ist ernst zu nehmen, ausgedehnte Streiks wehrhafter Autorengewerkschaften haben in der angelsächsischen Welt Tradition. Nach dem Abzug der üppig zahlenden Römer streikten britische Geschichtsschreiber für fast 300 Jahre und überließen ihr Publikum ungerührt den dunklen Mattscheiben der Dark Ages. Noch heute leiden die verworrenen Verfilmungen der Artussage unter dem langen Blackout.
Armee von Streikbrechern nötig
Einen Ausweg aus dem Dilemma der Studios will Hollywood-Urgestein Harvey B. „Major“ Prick gefunden haben, dessen Superheldenfilme bereits bekanntlich fast durchgehend von schnöden Algorithmen produziert werden. Der Zelluloid-Dinosaurier möchte jetzt mit einer Armee von Streikbrechern das noch immer lukrative Streaming-Geschäft aufrollen.
Dabei setzt der US-Entrepreneur jedoch nicht auf die Hilfe narrativ begabter KI-Tools, die jegliche Algorithmen alt aussehen lassen. „Zu teuer, zu intelligent, zu eigensinnig“, fasst „Major“ Prick seine Kritik an ChatGPT und anderen Fabuliermaschinen zusammen.
„Ich habe stattdessen einen ganzen Haufen deutscher TV-Autoren eingekauft“, erzählt er, wobei der Produzent sowohl die Bezeichnung „Autoren“ als auch das Verb „eingekauft“ gestisch in Anführungszeichen setzt. „Die stellen überhaupt keine Ansprüche und lecken dankbar deine Hand, wenn sie mal nicht über Bergdoktoren in Forsthäusern schreiben müssen. Außerdem herrscht in Germany eine ganz natürliche Ordnung am Filmset, hat mir mein Buddy Til erklärt. Wer nicht pariert, bekommt dort noch vom Boss persönlich eins in die Fresse!“
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