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Die WahrheitBestes Haar, beste Unterhaltung

Das Kopfgewöll muss nach dem Winter herunter. Wie schön, dass der Friseur Zeit hat und zudem eine Bühne für allerlei Dampfplaudereien bietet.

B in gestern auf dem Weg zum Rewe an meinem Friseur vorbeigekommen und habe beim Blick durch die Scheiben erkannt, dass die Gelegenheit nicht günstiger sein könnte. Lediglich zwei Männer saßen auf dem Eckwartebänkchen gegenüber der Kasse, während Halil, der Chef, einem dritten soeben den Nacken fertig ausrasierte.

Zum einen bedeutete dies, dass ich rasch drankommen würde, was in diesen Tagen, in denen sich eine jede Kreatur ihres Winterfells entledigen wollte und die Friseursalons vollgestopft wie Ärztewartezimmer waren, bereits ein Frühlingswunder an sich darstellte. Zum anderen würde ich nach langer Zeit die Gelegenheit haben, vom Meister persönlich bedient zu werden, was angesichts der Struppigkeit des Kopfgewölls, das sich mir in den vergangenen Tagen im Spiegel gezeigt hatte, wahrscheinlich die beste aller Lösungen war.

Ich also nichts wie rein, denn mein Friseurladen heißt „Best Hair“, mit viel weniger würde ich mich üblicherweise auch nicht zufriedengeben. Musste ich in der Vergangenheit allerdings gelegentlich, da der Salon ständig voll ist, das Personal dort rege fluktuiert und der erzsympathische Chef, Garant für die sichere Erfüllung des Claims, nur alle drei bis vier Besuche zur Verfügung steht.

Dieses Mal lohnte sich die Mühe, den Lesezirkel-Spiegel beiseite zu legen und mich unter seine Schere zu begeben, vollständig. Halil war blendender Laune und tat gleich zu Beginn in scherzhafter Absicht so, als würde er mich mit irgendeinem Lokalpolitiker verwechseln, was mir die Chance eröffnete, aus einer mafiabossähnlichen Pose heraus gleichfalls scherzhafte Reden zu schwingen, und einen weiteren Mann, der nach mir auf dem Wartebänkchen Platz genommen hatte, dazu bewegte, einfach besinnungslos mitzusprechen und zu -kichern, damit unser aller Gagfeuerwerk nicht versiegte noch verpuffte.

Während Halil um mich herumtänzelte und meine Locken zu Fall brachte, schnitt der wartende Mann auf der Bank ein heißes Thema quasi wie mit der Brennschere an, nämlich die vielen Oberbürgermeisterwahlen, die unsere Stadt jüngst gebeutelt, ja regelrecht gepiesackt hatten: von der skandalbedingten Abwahl des einen schon vor Monaten bis zur gerade erst erfolgten Stichwahl, die schließlich einen ganz anderen begünstigt hatte.

Der Friseur war klug genug, so zu tun, als hätte er von dem gesamten Thema noch nie gehört, was dem dritten Mann die Möglichkeit verschaffte, als Politikexperte zu brillieren, und mir die Gelegenheit, stillvergnügt in mich hineinzuschmunzeln, während die Zeit wie im Flugsimulator an uns vorbeiraste.

Leider verabsäumte ich dabei, hin und wieder in den Spiegel zu schauen, sodass ich hinterher mit einer krassen Kurzhaarfrisur dastand, mit der ich mich jetzt nicht mehr unter Leute traue. Aber die Unterhaltung war exzellent; ich gehe gleich nächste Woche wieder hin, Spitzen nachschneiden.

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