Die Wahrheit: Hundeknochen und Koalitionspartner
Selbst in einem Lokalparlament muss Rücksicht genommen werden, wenn auch nicht auf Ludendorffs Hund und seine toten Knochen.
R aimund zerknüllte die Zeitung. „Zum Kotzen!“, knurrte er: „Sie haben festgestellt, dass da wirklich Tierknochen vergraben sind. Demnächst wird noch irgendwer ein Kreuz aufstellen: ‚Dem Helden Fido Ludendorff zum Gedenken‘!“ – „Meinst du echt, dass der Hund eures Generalissimus Fido hieß?“, fragte Petris, Gumwirt und Grieche, der hinter der Theke Gläser polierte, und Luis meinte: „Petris hat recht. ‚Hector‘ – so heißen Feldherrenköter!“
Vor Kurzem war im Stadtarchiv das Tagebuch eines Wehrmachtssoldaten aufgetaucht, der angab, auf der Flucht vor der Roten Armee ’45 die Knochen von Ludendorffs Hund bei Tannenberg ausgebuddelt und sie ausgerechnet hier im Uferpark wieder beigesetzt zu haben. Bisher wusste man nicht mal, dass Ludendorff einen Hund besaß. Jetzt aber zogen ständig Reisegruppen in Trachtenjankern durch den Park und legten Kränze nieder.
„Du musst was tun!“, fuhr Raimund Rudi den Blödmann an.
„Ich?! Wieso ich?“, stotterte Rudi. – „Du sitzt im Stadtrat. Du bist bei den Grünen. Du bist unser Mann im Parlament: Die Knochen müssen weg!“ – Rudi atmete schwer. „Du hast ja keine Ahnung: Wir müssen Rücksicht auf unsere Koalitionspartner nehmen!“
„Beruhigt euch, Jungs“, sagte Luis. „Es ist doch gar nicht sicher, dass da wirklich Ludendorffs Töle liegt.“ Er hatte rausgekriegt, dass der Soldat und Hundeknochenverscharrer damals nicht nur für seinen meschuggenen Patriotismus, sondern auch für seine Lügengeschichten berühmt war. „Vielleicht“, sagte Luis, „hat er einfach den Nachbarsfiffi abgemurkst und verscharrt.“ – „Aber das ist doch ganz egal, solange die Trachtenheinis glauben, dass da Fido Ludendorff liegt!“, rief Raimund. „Genau …“, sagte Luis sybillinisch. Er grinste Raimund an. Und plötzlich grinste auch Raimund.
Ein paar Tage später brachte Radio Victoria, die Freie Welle der Szene, ein Exclusivinterview mit Arnie, dem uralten Stadtindianer: „Das mit Ludendorffs Köter ist totaler Bullshit“, sagte er: „In Wahrheit liegt da Ernst, der Kater aus der Heumarktkommune. Er war ein Monster, der uns alle genervt hat, aber er hat es sogar in die Weltliteratur geschafft: Im Sommer ’69 war ein Kumpel von Gilbert Shelton mal ein paar Tage bei uns zu Besuch, und kurz darauf tauchte Fat Freddys Kater zum ersten Mal in Sheltons Comics auf. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Nazis Ernsts Grab okkupieren!“
Schon am nächsten Samstag zog eine Antifademo zum Uferpark. Die jungen Leute skandierten „Nazis, verpisst euch!“ und „Fat Freddys Kater forever!“ und stellten an Ernsts Grab eine selbst gebastelte Gedenktafel auf. Danach hatte es mit den Kranzniederlegungen der Trachtenvereine ein Ende, und es störte nicht einmal sehr, dass die jungen Leute nur eine ungefähre Kenntnis der Weltliteratur besaßen und auf dem Gedenkschild nicht Fat Freddys Kater, sondern der dicke Garfield abgebildet war.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss