Die Wahrheit: Porno im Glashaus
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (159): Mit Pandas wird schmutzige Politik gemacht, und sie pflanzen sich schwer fort.
In der Zeitschrift Tierethik schreibt die Szenografin Anne Hölck: „Weltweit berichtete die Presse über die junge Panda-Bärin Meng Meng, die nach ihrer Ankunft im Berliner Zoo 2017 auf eigenartige Weise rückwärts lief.“ Experten vermuteten damals, es handele sich um eine Teenager-Rebellion. Die Begegnung mit Jao Qing zur Paarungszeit werde sie vermutlich beruhigen.
Aber auch danach bewegte sie sich noch rückwärts. Es ist eine „Bewegungsstereotypie“, wie sie bei Wildtieren in Gehegen oder Käfigen häufig auftritt. „Sie lief“, so Hölck, „bereits vor ihrer Ankunft in Berlin rückwärts, das hatten die Berliner Tierpfleger schon in Chengdu bemerkt; doch sie konnten nichts machen, die Verträge waren bereits abgeschlossen. Pandas mit Stereotypien können nicht mehr ausgewildert werden.“ Darum geht es aber in Chengdu, denn die Pandas sind eine gefährdete Art.
Die Pandabärin wurde 2013 in der Aufzucht- und Forschungsstation Chengdu Research Base geboren und lebt nun mit dem Pandabären Jiao Qing aus dem gleichen Stall im neu gestalteten Pandagarten des Berliner Zoos.
Neun Millionen Euro kostete der Bau, für den die chinesische Seite Vorschriften machte, der Zoo nennt die Anlage verlogenerweise ein „Panda-Paradies“. Das Konzept ging aber auf, meint Anne Hölck: „Im ersten Monat drängten sich ca. 350.000 Schaulustige an den Glasscheiben der Gehege.“
Das Pandageschenk machte Ärger
2014 hatte der Künstler An-Chi Cheng in Berlin einen ausgestopften Pandabären und eine Grafik ausgestellt: Sie zeigte vom ersten bis zum letzten verschenkten Pandabär, was die chinesische Regierung mit ihrer „Panda-Diplomatie“ alles erreicht hat – an Verträgen, Handelsbeziehungen und so fort. Nur einmal verursachte ein Pandageschenk Ärger. Als man 1980 dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Pandapaar namens Tjen Tjen und Bao Bao schenkte und der sie an den Westberliner Zoo weitergab, intervenierte Moskau, weil Westberlin nicht Teil der BRD war.
Tjen Tjen starb 1984 an einer Virusinfektion. Man vermutete im antikommunistisch verseuchten Westberlin, dass eine Bio-Waffe des KGB dahintersteckte. Die Journalistin Prisca Straub schrieb in ihrer Biographie über Bao Bao: „Sein Lebensstil war so anspruchsvoll, wie es sich für einen echten Star gehört; seine Mahlzeiten so teuer, dass exquisite Feinschmecker neben ihm bescheiden wirken.
Sein Sexleben füllte Jahrzehnte lang die Klatschspalten der Boulevardblätter, und der Zustand seines Geschlechtsapparats war Gegenstand verwickelter diplomatischer Verhandlungen.“ Für beide Pandabären wurde täglich Bambus eingeflogen. Sie waren hoch versichert. Westberliner Linke meinten, für das Geld sollte man lieber Kitas bauen. Aus Protest besetzten sie die Flamingo-Wiese im Zoo.
Null Nachwuchs vom Pandapaar
Ärgerlich war auch, dass das Pandapaar keinen Nachwuchs zeugte. Dann biss Bao Bao auch noch einem Fotografen einen Finger ab, was für den Zoo teuer wurde. Nachdem Tjen Tjen gestorben war, kam aus Peking eine neue Pandabärin als Leihgabe: Yan Yan, doch sie hatte Zyklusprobleme. Eine Hormontherapie bewirkte lediglich, dass sie mit Bambusstöckchen zu masturbieren begann. Man beschallte das Paar mit Brunftgeräuschen und zeigte ihnen Panda-Pornos.
Yan Yan blieb paarungsunwillig, und alle Versuche, sie künstlich zu befruchten, schlugen fehl. Schließlich wurde ein Besamungsexperte aus China eingeflogen. Aber auch er konnte nicht helfen. Stattdessen sollte dann Bao Bao 1991 im Londoner Zoo die Pandabärin Ming Ming schwängern. Aber sie interessierte sich nicht für ihn, er biss ihr ein Ohr ab.
2007 starb Yan Yan an Darmverstopfung, sie kam ins Naturkundemuseum. Alle Politiker, die nach China reisten, wurden angehalten, eine neue Pandabärin von der Regierung zu erbitten. Bao Bao blieb derweil allein in seinem Gehege, wo er von 1980 bis 2009 vom Tierpfleger Lutz Störmer betreut wurde, der ihn als „zuverlässigen Kumpel ohne hinterlistige Gedanken“ bezeichnete. Als Bao Bao 2012 starb, wurde er vom Chefpräparator des Museums, Detlef Matzke, ausgestopft: „Wenn die Luftfeuchtigkeit stimmt und die Vitrine dicht ist, können die beiden locker mehrere hundert Jahre alt werden“, behauptete er.
Die Hauptstadtpresse titelte sogleich: „Berlin braucht wieder einen Panda!“ Meng Meng und Jiao Qing kamen 2017 durch den Einsatz der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Deutschland. Für 900.000 Dollar jährlich leaste man das Pandapärchen von den Chinesen für 15 Jahre. Die Zooleitung ließ „Panda-Memodaillen“ pressen. Und ein Edeka-Markt verkaufte „Panda-Scheiße“ (in 350-Gramm-Gläsern).
Die neue Pandabärin sollte unbedingt schwanger werden. Als sie bereit war, wurde eine „Expertin für Hormonanalysen“ hinzugezogen, ferner ein „Fortpflanzungsexperte aus Chengdu“. Zwar besprang Jiao Qing Meng-Meng mehrmals und auch „artgerecht“, wie es hieß, aber Thomas Hildebrandt, „Spezialist für Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung“, ließ das Weibchen außerdem noch künstlich besamen. Doppelt hält besser. Im Ergebnis bekam sie Zwillinge: Pit und Paule genannt. 2022 teilte der Zoodirektor mit: „Die beiden sind uns sehr ans Herz gewachsen.“ Sie bleiben laut Vertrag Eigentum Chinas, der Zoo muss für sie jährlich 800.000 Euro zahlen.
Die chinesische Panda-Diplomatie besteht darin, dass nur diejenigen Länder Pandas bekommen, mit denen das Land „gute“ Beziehungen wünscht. Vorbild ist hier die „Elefanten-Diplomatie“ des damaligen indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru 1953. Das erste „Panda-Geschenk“ bekam 1972 US-Präsident Richard Nixon. Seither hat China 23 weitere Male Pandas verschenkt.
Pandabären nur noch zum Leihen
1984 änderte Deng Xiaoping die Panda-Politik, fortan wurden die Bambusbären nicht mehr verschenkt, sondern verliehen. Ab 1991 bot China Pandas nur noch auf zehnjähriger Leihbasis an. Im Jahr 2018 erklärte sich Finnland bereit, zwei Pandas zu leasen, nachdem es die gegen Taiwans Selbstständigkeit gerichtete Ein-China-Politik der Kommunistischen Partei befürwortet hatte.
2019 eröffnete der Kopenhagener Zoo ein neues Gehege für zwei Pandas. Eine Sprecherin der rot-grünen Allianz im Parlament erklärte: „Dänemark bekommt die Pandas, weil wir unsere Kritik an der chinesischen Unterdrückung Tibets aufgegeben haben und weil die chinesischen Menschenrechtsverletzungen nicht mehr so stark kritisiert werden.“ Mit dem Panda-Leihvertrag wurden 2019 vierzig neue Handelsabkommen zwischen Dänemark und China unterzeichnet.
Ein Panda lebt von frischem Bambus und frisst davon 40 Kilo pro Tag. Der Zoo von Edinburgh etwa gab 2011 allein dafür 107.000 Dollar aus. Weil Bambus während der Coronapandemie noch teurer wurde, sendete der kanadische Zoo von Calgary sein Pandapaar vorzeitig zurück.
Der Westberliner Zoo hat sich nach 1989 sukzessive den Ostberliner Tierpark einverleibt, dessen letzter DDR-Direktor Heinrich Dathe während der Wende bereits befürchtet hatte: „Die Westler machen daraus einen bloßen Hirschgarten.“ Nun wird daraus womöglich, noch gemeiner, ein Bambushain – für die Pandas im West-Zoo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers