Die Wahrheit: Mann ohne Gesichtserkennung
Absolut niemand kennt und erkennt den Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Begegnung mit einem großen Unbekannten.
Fragt man Leute auf der Straße, ob sie Wolfgang Schmidt kennen, ist die Antwort eindeutig: „Na klar“, ruft es einem entgegen, „das ist doch mein Nachbar / der Tierarzt meiner verstorbenen Katze / der gemeine Ex meiner Tochter, der ihr das Herz brach, indem er mit mir durchbrannte!“ Bei genauerer Nachfrage stellt sich allerdings immer heraus, dass ein anderer Wolfgang Schmidt gemeint ist als unser Wolfgang Schmidt: Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – auch bekannt unter der Abkürzung SPD –, Chef des Kanzleramts, auffällige Merkmale: gar keine.
Die Medien lieben es, nicht über Wolfgang Schmidt zu berichten. Wenn sie sich denn doch mal an seine Existenz erinnern, bezeichnen sie ihn gern als engsten Vertrauten, besten Freund und Besitzer der Schlüssel zu sämtlichen Tagebüchern des Kanzlers. Was ist der Erfolg von Wolfgang Schmidts Geheimnis? Und wie geht er damit um, dass selbst seine Kinder immer wieder vergessen, wer er noch mal ist, und ihn auf dem Handy wegdrücken?
Eine Antwort auf diese Fragen findet man vielleicht auf Schmidts Twitterprofil. Hier stellt sich bald heraus: Der Mann mit dem generischsten Namen der Welt hat auch das langweiligste Hobby: Fußball. Aber Schmidt nutzt seinen Twitteraccount auch für anderes: Aus Solidarität retweetet er gern Männer mit ebenso langweiligen Namen, zum Beispiel Klaus Müller, den Präsidenten der Bundesnetzagentur. Man muss schließlich zusammenhalten.
Über dieses Twitterprofil lässt sich auch Kontakt zu Schmidt aufnehmen, er ist erstaunlich zuvorkommend. Die Frage nach einem Interview stellt er direkt am Anfang, weil er sich so freut, dass sich die Presse mal für ihn interessiert. Wir vereinbaren ein Treffen in einem Subway im Berliner Hauptbahnhof.
Bodyguards sind unnötig
Schmidt ist sehr pünktlich, schaut immer wieder über die Schulter, in der Hoffnung, erkannt zu werden. Bodyguards sieht man keine, das lohne sich nicht, habe der Christian gesagt, erklärt Schmidt niedergeschlagen. Mit „Christian“ ist wahrscheinlich der Bundeswirtschaftsminister gemeint, aber es könnte auch sein, dass der FDP-Vorsitzende Lindner noch nie mit Schmidt gesprochen hat, weil er ihn immer für den Schatten des Kanzlers gehalten hat.
Nachdem er sein Sandwich verdrückt hat, will Schmidt noch zu Starbucks, um dort auf Nachfrage extra laut seinen Namen zu sagen. Vielleicht hat er hier ja mehr Glück. In der Tat wird Schmidt, als er seinen Kaffee in der Hand hält, von einem Studenten aus Gelsenkirchen angesprochen. Doch auf die Freude folgt Verwirrung, dann Enttäuschung: Der junge Mann hat Schmidt mit dem legendären Technobäcker Wolfram Schmitz verwechselt, der im Ruhrgebiet für Furore sorgt, indem er Pizzen auflegt. Das sei ihm jetzt diese Woche allein vier Mal passiert, grummelt Schmidt, bevor er zu weinen beginnt, weil ich zufällig eine Schulfreundin aus der Heimat treffe.
Seine Situation habe aber auch Vorteile, erklärt Schmidt tränenerstickt, nachdem ich merke, dass ich mich vertan habe und es sich gar nicht um eine alte Freundin, sondern um die Technolegende Wolfram Schmitz handelt, der nun meinetwegen seinen Zug verpasst hat. Seine Frau, so Schmidt, sage ihm immer, dass es ja sehr gut zu dem Beauftragten für die deutschen Nachrichtendienste passe, dass niemand ihn kenne. Die Öffentlichkeit denke bestimmt, das sei Absicht. Wenn sie mal drüber nachdenke.
Und mit der Anonymität komme auch große Freiheit: So müsse er sich wirklich kaum dafür verantworten, den G20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017 organisiert zu haben, noch weniger als Olaf Scholz. Und letztens habe er durch einen unglücklichen Kopierfehler sämtliche Passwörter des Bundesnachrichtendienstes auf Instagram gepostet und es sei niemandem aufgefallen. Er habe sie bis jetzt nicht gelöscht, einfach, um mal zu schauen, was passiert.
Fehler sind öffentlich
Hat er keine Sorge, dass er Ärger bekommt, wenn er so freimütig mit der Presse über seinen Fehler spricht? „Warum denn?“, grinst Schmidt fies, „Ihre Zeitung liest doch eh niemand!“
Die Mischung aus Gemeinheit und einem neuen positiven Blick auf sein Schicksal bringt Schmidts Augen zum Leuchten. Er zückt sein Telefon, lässt sich nicht davon abhalten, dass ihn die Gesichtserkennung nicht zuordnen kann und er erst mühsam seine PIN eingeben muss. Dann ruft er beim BND an und befiehlt, einen Agenten bei Bernard Südbeck vorbeizuschicken. Der CDU-Mann habe ihm und „Scholzy“ im vorigen Jahr durch eine Razzia im Finanzministerium „die Bullen auf den Hals gehetzt“. Nun soll der Nachrichtendienst bitte mal bei Südbeck das Warmwasser abdrehen, den Hamster aussetzen, in alle Gläser im Kühlschrank spucken und das Toilettenpapier falsch rum aufhängen.
Dann verabschiedet sich Schmidt hastig und eilt zum Ausgang. Er müsse jetzt die Polizeigewalt gegen die Letzte Generation organisieren, ruft er noch über die Schulter. Wenn Olaf das mache, gebe es nur wieder Ärger. Zwar minimal, aber warum sollte man es nicht vermeiden, wenn das möglich sei?
Auf seinem Weg schubst er mehrere Schulkinder beiseite und entreißt einer alten Frau ihre Handtasche, um alle ihre Medikamentenpackungen zu öffnen und sich deren Inhalt in den Schlund zu kippen. Später auf dem Polizeirevier wird die Rentnerin den Täter nicht beschreiben können.
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