Die Wahrheit: Vor dem Fest

Lebenslänglich Bayer: Die Vorbereitungen für die weltberühmteste Sause der Welt sind in München an allen Ecken und Enden schwer im Gange.

Die Frau neben mir auf der Parkbank im Englischen Garten muss sich noch ein Dirndl besorgen. Das bespricht sie mit ihrem Mann bei einer Zigarette. Sie hat zwar noch eins, aber das ist ihr zu grün und gefällt ihr gerade nicht. Die es im vergangenen Jahr bei Trachten Angermayr gegeben hat, die hätten ihr gefallen. Weil da aber kein Oktoberfest war, hat sie es nicht gekauft. Sie ruft eine Freundin an, von der sie vermutet, dass sie weiß, ob es die Dirndl aus der Vorjahreskollektion im Outlet-Shop des Landhausmodegiganten gibt. Die Freundin weiß es nicht. Es bleibt also schwierig.

Eine Apotheke in der Türkenstraße ist dagegen schon fertig mit den Vorbereitungen auf das Oktoberfest. Neben Werbetafeln für ein Produkt, das „Dermo-Kosmetik für alle Hautzustände“ verspricht, sitzt ein bayerischer Stofftierlöwe in Lederhose und streckt seine weiß-blau rautierten Tatzen von sich. Ein Steinbierkrug, der mit Watteschaum gefüllt ist, steht auch noch da. Dass man mit dem von Dermatologen empfohlenen Produkt seinen Kater wegschminken kann, glaube ich trotzdem nicht.

In den Boulevardzeitungen werden Getränkemarken verschiedener Bierzelte verlost. In der seriösen Presse verkünden Sommeliers das Ergebnis ihrer Verkostung der Festbiere, für das in den Bierzelten Preise zwischen 12,60 und 13,80 Euro pro Liter verlangt werden.

Auf einer Videotafel in der ­U-Bahn lerne ich, dass es reicht, die elektrische Zahnbürste einmal in der Woche zu laden und dass man so Energie sparen kann. Im Bayerischen Rundfunk sagt ein CSU-Lokalpolitiker namens Clemens Baumgärtner, der überall als Wiesnchef bezeichnet wird, zum Thema Energiekrise, dass man auch mal darüber nachdenken soll, ob beim Zubereiten eines Hendls im eigenen Herd nicht eigentlich mehr Energie verbraucht werde als beim gleichen Vorgang im Bierzelt. Dass man mit einem Besuch auf dem Oktoberfest Energie sparen kann, war mir bis dahin neu. Dieser Baumgärtner wird es schon wissen. Er ist Wirtschaftsreferent der Stadt und als solcher für das Oktoberfest zuständig. Selbstverständlich kennt der sich aus.

Auch wegen Corona solle man sich keine allzu großen Sorgen machen. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, auch ein CSUler, meint, wem es möglich sei, der könne ja nach einem Oktoberfestbesuch zwei oder drei Tage vom Homeoffice aus arbeiten. Eine Maskenpflicht gibt es jedenfalls nicht auf der Wiesn. Eine Boulevardzeitung titelt dennoch, Ministerpräsident Markus Söder befinde sich im „Masken-Streik“, weil er ohne Mund-Nasen-Lappen zum Anstich am Samstag gehen will. Demnach befinde ich mich beim Verfassen dieses Textes ebenfalls gerade im Masken-Streik.

Billige Dirndl gibt es übrigens im Second-Hand-Shop von Oxfam am Orleansplatz. Ein kaum getragenes, schmuckes Stück aus reiner Seide wird da gerade für 35 Euro feilgeboten. Der Frau von der Parkbank im Englischen Garten wird das nicht weiterhelfen. Es ist grün.

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kari

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