Die Wahrheit: Der karierte Schizo reitet wieder
Die Ritzenschlüpper sind weg? Das müssen die alten Fans gewesen sein. Sofort muss die Band aus alten Tagen wieder zusammenkommen.
A ls Raimund beim Kaffeekochen die Unterhosengeschichte erzählte, hatte ich die Sendung auf Radio Victoria schon längst wieder vergessen.
„Also bitte, wer soll denn deine Unterhosen klauen?!“ – „Fans natürlich! Groupies stehen auf Unterhosen von Rockstars.“ – „Aber du bist kein Rockstar. Und du bist fast sechzig.“ – „Na, und? Keith Richards ist fast achtzig!“ – „Aber auch dem klaut niemand die frisch gewaschenen Unterhosen von der Wäscheleine im Hinterhof!“
Kürzlich war bei „Love & Peace & Freedom“, dem Wunschkonzert auf Radio Victoria für die Ukraine, „Röslein rot“ gespielt worden, was einige Hörerinnen dazu veranlasst hatte, gefühlsduselige Geschichten aus ihrer Jugend auf der Homepage des Senders zu hinterlassen.
Seitdem träumte Raimund wieder von Ruhm und Geld – wie damals in den späten siebziger Jahren, als er bei einem London-Trip zufällig in ein Sex-Pistols-Konzert geraten war und anschließend „Der karierte Schizo“ gründete, die erste Punkband der Stadt.
„Der karierte Schizo reitet wieder!'“, grinste Raimund: „London, Tokio, Rio, New York … Du kannst unser Manager sein und mitkommen, wenn du willst.“ Ich seufzte. Der karierte Schizo hatte damals einen legendären Krach produziert, denn Raimund und Theo, und damit die Mehrheit der Bandmitglieder, waren grandiose Dilettanten an Schlagzeug und Bass. Der Einzige, der sein Instrument beherrschte, war Pitty, der Gitarrist – weil aber Pitty John Denver toll fand, war es ihm strikt verboten, Songs für den Schizo zu schreiben.
„Röslein rot“ war die Ausnahme. Es war der einzige Song der Band, der eine Melodie hatte und sich nicht wie ein Massencrash auf der Autobahn anhörte. Er wurde geliebt von braven Mädchen, die Dauerwellen trugen, und führte dazu, dass Der karierte Schizo ein paar Konzerte in den Musikkneipen des Landkreises gab. Nach „Röslein rot“ aber war immer Schluss: Mal wurden die Jungs genötigt, den Song zwei- oder dreimal zu wiederholen, mal spielte Pitty zur Besänftigung des Publikums „Country Roads“ auf der Akustikgitarre – sobald sie aber die erste Krachpunknummer auspackten, schmissen die Brüder der Dauerwellenmädchen sie raus.
„Trag mal den Kaffee raus“, sagte Raimund. Er gab mir die Kanne, und wir gingen auf den Balkon. „Ich muss unbedingt rauskriegen, wo Pitty jetzt lebt. Angeblich ist er in Frankfurt bei einer Werbeagentur und produziert Jingles für Küchenstudios und so was. Theo hab ich schon angerufen, er überlegt noch … – da!“ Er zeigte auf die Wäscheleine im Hof, die tatsächlich fast leer war.
„Ich muss die alten Tapes raussuchen, wer weiß, wann sich der erste Plattenproduzent meldet!“, rief Raimund und rannte davon. Ich aber verschwieg ihm lieber, dass mir seine Unterhosen und T-Shirts auf dem Heimweg noch einmal begegnet waren: Als ich an einigen Jungs vorbeiging, die ihre BMX-Bikes damit putzten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus