Die Wahrheit: Vegetieren in der Sechstwohnung
Der Krieg in der Ukraine fordert immer mehr Opfer. Ein Besuch beim Oligarchengattinnen-Hilfswerk „Goldene Brücke“.
Ludmilla möchte ihr Gesicht nicht zeigen und verhüllt ihr Antlitz mit einem Seidenschal von Gucci. „Diese Militäroperation hat mich entstellt!“, stöhnt sie mit gebrochener Stimme. Vor drei Wochen hätte sie zur Botox-Behandlung nach Kazan fliegen sollen, doch die 41-jährige russische Oligarchengattin konnte nicht starten. Kein Flug, die Kreditkarte gesperrt, da ihr Mann mehrere Rüstungsfabriken in Uljanowsk besitzt und zu Wladimir Putins Duzfreunden zählt. Seither ist Ludmilla in Westeuropa gefangen und hat wieder Krähenfüße im Gesicht.
Zudem leidet sie unter den beengten Wohnverhältnissen: Seit vier Wochen muss sie allein in einem Dreizimmer-Penthouse in Berlin-Mitte ausharren. „Es ist so würdelos!“, gesteht sie uns. „Der Pool unserer Yacht ist größer als diese Wohnung! Dieses Loft ist doch bloß unsere …“ – sie zählt an den Fingern nach: „adin, dwa, tri, tschetyre, pjat, schest …“ – „… bloß unsere Sechstwohnung! Ein Renditeobjekt, das nie zum Wohnen gedacht war! Schauen Sie, die Küche! Nichts ist da!“
Wir schauen in die makellos glänzende Bulthaup-Küche aus gebürstetem Edelstahl mit diamantbesetztem WMF-Espressovollautomaten und Suppenkellen aus Sterlingsilber. Alles ist da, was eine Küche auszeichnet, aber Ludmilla meint vor allem die fehlende Haushälterin.
„Soll ich etwa selber …?“ Sie kann nicht mehr weitersprechen, die Stimme stockt, Ludmilla ist eine vom Krieg gezeichnete Frau.
„Das Borchert hat einen geheimen Lieferdienst“, flüstert ihr beruhigend Beate von Matt zu und führt die zitternde Milliardärin zu einer billigen Récamiere aus dem Hause Dior, wo sie sich etwas erholen kann. Dann verschafft sie ihr einen Termin bei einem Schönheitschirurgen am Wannsee.
Praktische Menschenliebe
„Das ist das Mindeste, was wir tun können. Kleine Schritte zur Normalität, praktische Menschenliebe“, erklärt die ehrenamtliche Helferin des Zehlendorfer Rotary Clubs und Mitbegründerin des Oligarchengattinnen-Hilfswerks „Zoloto Most“, zu Deutsch: „Goldene Brücke“.
„Dieser schreckliche Konflikt fordert so viele Opfer. Und Oligarchengattinnen gehören zu den am schlimmsten Betroffenen.“ Völlig unverschuldet habe sie der Krieg beim arglosen Shoppen in Dubai, Paris oder Mailand getroffen oder, wie Ludmilla, beim Après-Ski in St. Moritz. Mit nur vier Louis-Vuitton-Koffern am Leib beziehungsweise in ihrer dortigen Fünf-Sterne-Suite war ihr der Rückweg zur Mittelmeeryacht in Nizza verbaut, der Privatjet der Familie darf im europäischen Luftraum nicht mehr starten.
„Aber wir konnten sie mit dem Learjet von Susanne Klatten ausfliegen“, freut sich Beate von Matt. Doch in der deutschen Hauptstadt kam Ludmilla in Kontakt mit einem Berliner Taxifahrer und muss seither psychologisch betreut werden. Er weigerte sich standhaft, Schweizer Franken anzunehmen – das einzige Bargeld, das die Russin bei sich führte.
„Dabei ist schon die Barzahlung eine große Herausforderung, auch hygienisch!“, erklärt uns Dr. Mathilde Thyssen, die der „Goldenen Brücke“ als Kapitalpsychologin zur Seite steht. Sie ist auf die Behandlung Superreicher spezialisiert. „Das ist ein schwieriger Lernprozess, dass das Geld, das man in Händen hält, zuvor anderen gehört hat. Das ist vielen unserer Klientinnen gar nicht so bewusst.“
Die „Goldene Brücke“ finanziert sich aus Spenden von Rotary- und Lions-Clubs, Industriellenwitwen und hauptberuflichen Erbinnen. Erfahrene Millionärinnen unterstützen bei Behördengängen und Geldanlage oder helfen mit Sachspenden, Gold oder privaten Justitiaren aus.
„Es ist unglaublich, was man diesen traumatisierten Frauen antut!“, schimpft Beate von Matt. „Die Dame vom Bürgeramt war partout nicht zu einem Hausbesuch bereit, um Ludmillas Anmeldung entgegenzunehmen. Sie musste persönlich erscheinen, auf einem Amt, wie im Sozialismus!“ Zum Glück stellte Friede Springer kurzfristig Leiblimousine und -chauffeur zur Verfügung.
„Noch schlimmer war es eigentlich nur bei der Sparkasse!“ Dort wollte Ludmilla ein deutsches Konto eröffnen. Doch der Filialleiter machte einen „irren Aufstand“, als sie ihre Handtasche öffnete und 80.000 Schweizer Franken einzahlen wollte. „Sprach was von Geldwäsche! Was für ein Quatsch, das war nur ein kleines Handgeld!“
Putins Militäroperation schnitt viele Oligarchengattinnen von Versorgungsrouten ab, vor allem dem Devisennachschub, erläutert Dr. Thyssen und fordert von der internationalen Gemeinschaft unverzügliche „monetäre Fluchtkorridore für russisches Geld“.
Doch die Hilfsbereitschaft im deutschen Geldadel ist riesig. Vor allem, seit So-yeon Schröder-Kim die Schirmherrschaft der „Goldenen Brücke“ übernommen hat. Sie versteigerte zwanzig handsignierte Kunstdrucke ihrer Heiligenikone „Moskauer Gebet“. Eine halbe Million Euro kam so zusammen.
„Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das reicht gerade mal für einen Maybach“, gibt Thyssen zu bedenken, „und es gibt so viel mehr betroffene Frauen, die gerade ohne repräsentatives Fahrzeug dastehen!“
Spenden aus dem Luxussegment
Ortswechsel. Im Salon einer Fabrikantenvilla in Bielefeld türmen sich edle Faltschachteln. Hiltrud Oetker-Krupp, Stiefnichte von Puddingbaron Rudolf-August Oetker, sortiert gespendete Luxusuhren und Schmuck. Im Minutentakt fahren Privatchauffeure vor und liefern ab, was Deutschlands Superreiche nicht mehr brauchen. Auf der polierten Tischplatte aus Nussbaumwurzelholz bilden sich kleine Stapel: Uhren von Rolex, Hublot und Breitling, Schmuck von Cartier, Winston, Bvlgari. Doch die Wohltäterin ist nicht zufrieden: „Erschreckend, wie viele hier billigen Swarovski-Strass entsorgen! Das kann man vielleicht einer Zahnarztgattin aus Kiew andrehen, aber doch nicht der Ehefrau eines russischen Ölmagnaten!“
Auch weiße, sehr teure Markenturnschuhe in Kinder- und Jugendgrößen stapeln sich. „Wir dürfen ja die Kleinen nicht vergessen! Auch die brauchen einen Nachschub an frischen Statussymbolen! Wie stehen sie sonst da in ihren Schweizer Internaten!“
Überhaupt Kinder. Als wir das Thema bei Ludmilla ansprechen, beginnt sie zu weinen. „Mein Mann und ich sind im siebten Monat“, seufzt sie, und wir sind überrascht, denn Ludmilla hat die Figur einer russischen Eiskunstläuferin. „Das macht natürlich eine Leihmutter“, erklärt sie. „Aber wir erreichen sie nicht in Mariupol, hoffentlich ist sie nicht kaputt!“
Ludmilla wischt sich die Tränen von den Krähenfüßen: „Ich denke dauernd an unseren ungeborenen Sohn: Was kann denn unser kleiner Wladimir dafür?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge