Die Wahrheit: Mit Fidel und Che auf hoher See
Ungewöhnlicher Besuch in der Stammkneipe. Ist der merkwürdige Tresengast womöglich vom Verfassungsschutz?
G lotz da doch nicht so auffällig rüber!“, fauchte Luis Raimund an. „Ich glotz doch gar nicht!“ – „Natürlich glotzt du!“ – „Tu ich nicht!“, sagte Raimund: „Jedenfalls kenn ich den Typen nicht. Hab ihn noch nie gesehen.“ – „Ich schon!“, rief Rudi, der Blödmann, dazwischen. Natürlich musste er sich wieder aufspielen. „Du? Wann? Wo?“ – „Gestern. Und vorgestern. Hier, im Café Gum.“ Er war und blieb ein Blödmann.
Den dritten Abend saß der Fremde nun schon in der dunklen Ecke am anderen Ende der Theke und daddelte auf seinem Telefon rum.
„Vielleicht ist er neu in der Stadt und sucht Freunde“, überlegte Luis. Raimund tippte sich an die Stirn. „Freunde? Hier? Hier ist doch niemand.“ – „Und was ist mit uns?“ – „Also, ich brauch keine neuen Freunde. Ich hab ja euch.“ – „Und wenn mal einer von uns stirbt? Wir kommen langsam in das Alter …“ – „Phh! Wenn ihr einer weniger wärt, würde mir das immer noch reichen.“
„Außerdem“, fuhr Raimund fort: „Wer hätte jemals neue Freunde gefunden, indem er auf dem Handy rumdaddelt?“ – „Könnte ja auch Tarnung sein“, mischte sich Theo ein. „Das Handy?“ Luis kuckte ihn verständnislos an. „Jep. Ich sag euch, der Typ beobachtet uns. Könnte vom Verfassungsschutz sein.“ – „Warum sollte uns der Verfassungsschutz beobachten?“ – „Na ja, der Volkszählungsboykott, die Hausbesetzung in der Agnesstraße, die Waffen-für-El-Salvador-Kampagne – das sind keine Kinkerlitzchen.“
Luis verdrehte die Augen. „Das ist fast vierzig Jahre her!“ – „Na und? Der Verfassungsschutz vergisst nicht. Außerdem ist die Agnesstraßen-Geschichte hochaktuell. Im AStA machen sie demnächst eine Ausstellung dazu, und ich soll ihnen ein Interview geben.“ – „Uiii …“, machte Luis und pfiff höhnisch durch die Zähne. „Du bist ja bloß neidisch!“, schnaubte Theo. „Und du bist lächerlich genug, noch immer mit einem Atomkraft-Nein-danke!-Beutel rumzulaufen und das für rebellisch zu halten! Mit so was geht mittlerweile sogar unsere Ex–Kanzlerin auf den Markt!“
„Ich, lächerlich? Und was bist du?! Du hältst doch noch immer diese Kuba-Reise für hochpolitisch, die du vor ein paar Jahren gemacht hast!“ – „War sie ja auch!“, sagte Luis. „Schließlich sind wir sogar mit einem Kutter auf der historischen Route gefahren, die Fidel und Che vor der Landung bei Niquero genommen haben.“ – „Pff! Mit Fidel und Che auf hoher See …“ – „Arsch!“ – „Selber Arsch!“ – „Vielleicht sollte ich auch in eine andere Stadt ziehen und mir neue Freunde suchen.“ – „Ich halte dich jedenfalls nicht auf!“
Am nächsten Tag war der Fremde verschwunden. Kurz darauf aber soll auf einem Handyfilmfestival in Leipzig ein dokumentarischer Streifen über alte weiße Männer mit einem albernen Hang zur Selbstüberschätzung gelaufen sein, in dem auch das Gum und seine Stammgäste mitspielten. Woraus wir schließen konnten, dass das Telefon des Unbekannten wohl doch keine Tarnung gewesen war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen