Die Wahrheit: Tage des offenen Tors
Die russische Botschaft in Dublin steht für alle offen: Schuld daran ist ausnahmsweise nicht Wladimir Putin.
N ach der Ukraine ist Irland dran. Das jedenfalls wünscht sich Juri Filatow, der russische Botschafter in Dublin. Er behauptet, Irland stehe „an vorderster Front anti-russischer Aktionen in der Europäischen Union“, die Iren hassen angeblich „Russland und alles Russische“.
Vorvergangene Woche hatte ein Desmond Wisley mit seinem Lkw das Eingangstor zum russischen Botschaftsgebäude in Dublin durchbrochen. Er habe es getan, um einen „sicheren Korridor für die Flucht des russischen Botschafters aus Irland“ einzurichten, erklärte er bei seiner Festnahme. Filatow stufte das als eklatanten Verstoß gegen Artikel 22 der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen von 1961 ein: „Die Botschaft verurteilt diesen kriminellen Akt des Irrsinns gegen eine friedliche diplomatische Vertretung.“
Richtig friedlich ist die Botschaft aber nicht. Sie ist seit Langem ein Zentrum für Spionage und Lauschangriffe auf die EU-Kommunikation sowie ein Ausbildungszentrum für den Agentennachwuchs. Nun sollte die Botschaft erheblich erweitert werden und einen riesigen Keller für modernste Abhörtechniken bekommen, aber die irische Regierung hat die Baugenehmigung nach dem Angriff auf die Ukraine zurückgenommen.
Dublin war schon im Zweiten Weltkrieg eine Spionage-Hochburg, es wimmelte – ähnlich wie in Casablanca – nur so von Agenten. Die Sowjetunion verstärkte Anfang der siebziger Jahre ihre Aktivitäten in Irland, nachdem 90 ihrer Agenten aus England hinausgeworfen worden waren. Trotz der geringen kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen sowie der relativ geringen Zahl von Russen in Irland arbeiten inzwischen 31 Menschen in der Botschaft, die nun kein Eingangstor mehr hat.
Gesangbuchhalter? Gesangsbuch-Halter!
Wisleys ist Unternehmer, er versorgt Kirchen mit dem Nötigsten: Messwein, Altarkerzen, Gesangsbuch-Halter, Holzkreuze, Hostien mit Mengenrabatt und Absperrseile, um den Altar vor Gläubigen zu schützen. Offenbar hat er sich bei seiner Botschaftsaktion von seiner Kundschaft inspirieren lassen. Ein paar Tage zuvor hatte nämlich Priester Fergal MacDonagh einen Eimer roter Farbe über das Eingangstor der Botschaft gekippt, während er seine Aktion live im Radio kommentierte. Die Iren sollten erwägen, die Botschaft niederzubrennen, riet er den Hörern.
Wisley protestiert aber nicht nur gegen Russlands Angriff auf die Ukraine, sondern auch gegen Asylbewerber in seinem Heimatort Ballinamore. Ein Gericht verbot ihm und fünf anderen Klotzköpfen, die im Bau befindliche Unterkunft für 25 Familien zu betreten oder den Zugang zu blockieren. Die Demonstranten hatten die Bauarbeiter bedroht und den benachbarten Supermarkt angezündet. Wisley hatte den Mob mit Drohnen und Lebensmitteln – vermutlich Messwein – versorgt.
Die irische Regierung hat die russische Botschaft inzwischen unter Polizeischutz gestellt. Der Einsatzwagen, der vor dem Gebäude parkt, ist in den ukrainischen Farben lackiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW