Die Wahrheit: Die Draußenschlürferin
Tagebuch einer Kaffeeista: Im Obersuperdeprimonat Februar ist der Erwerb eines Heißgetränks mit existenziellen Fragen verbunden.
D er Februar war kaum zwei Wochen alt, und von allen mistwetterigen Deprimonaten, die ich bisher erleben durfte, mein persönlicher olympischer Goldmedaillengewinner, aber Rituale sind Rituale, und so bestellte ich in meinem Lieblingsladen bei meinem Lieblings-Barista seine Superspecial-Mischung, um danach an einem der vom letzten Guss noch nassen Außentische dem Elend zu trotzen.
Mitten in unser tägliches Wetter-Virus-Alles-ist-furchtbar-Geplauder stapfte plötzlich die Kaffeekundin vor mir von draußen wieder herein und platzierte mit Aplomb einen noch unberührten Latte auf den Tresen.
„Es regnet“, verkündete sie anklagend in rau akzentuiertem Englisch. Mein Barista nickte angemessen bekümmert, malte ein kunstvolles Milchschaumherz in meinen Cappuccino und informierte sie feinfühlig, dass es leider trotzdem nicht erlaubt sei, Getränke drinnen zu sich zu nehmen, denn, you know, dies sei ein Lebensmittelladen, Corona und so …
„Warum verkaufen Sie Ihren Kunden dann Kaffee, wenn es draußen regnet?“, schnitt sie ihm empört das Wort ab.
Ich fand, das war mal eine originelle Frage. Vielleicht sollte man ja den Verkauf von Kaffee in Scheißwettermonaten verbieten und auch gleich Eiscreme im Juli, die könnte immerhin schmelzen. Hat man als Kundin nicht das Recht, vor saisonal unpassenden Kaufentscheidungen geschützt zu werden?
Doch statt einer verständnisvollen Bestätigung entquoll mir zur eigenen Überraschung eine februarmäßig übellaunige Wutrede gegen so viel Selbstbesoffenheit: „Wieso ist das jetzt seine Schuld, wenn Sie sich einen Kaffee kaufen? Sie haben doch gesehen, dass es regnet“, warf ich mich vor meinen Barista-Freund. Die Expat-Lady schenkte mir einen herablassend-mitleidigen Blick. „Eben hat es noch nicht geregnet.“ Womit sie recht hatte, denn eben war es nur nass gewesen, jetzt schüttete es. „In anderen Ländern gibt es ja so was wie Kundenservice“, höhnte sie weiter, „aber hier …“
Ich verkniff mir eine der Situation angepasste und mindestens so dämliche Variante des in meinen Jugendjahren beliebten „Dann geh doch nach drüben, wenn’s dir hier nicht passt!“ und griff nach meinem Kaffee.
„Und wo haben Sie jetzt vor, den zu trinken?“, stichelte Madame. „Draußen, wie geplant“, entgegnete ich würdevoll und marschierte an ihr vorbei zur Tür. „Well, you’re a very special person!“, rief sie mir nach, was ich natürlich längst wusste.
Draußen verwandelte sich mein Cappuccino in einen milchig verregneten Lungo und schwappte über meine Klamotten, während ich versuchte, einen Schirm aufzuspannen, die Tasse zu jonglieren und gleichzeitig Souveränität auszustrahlen. Mein Lieblingskaffeemensch entrollte die Markise und wischte zum Dank für meinen Einsatz gegen die Unterdrückung des geknechteten Servicepersonals der mosernden Madame einen nassen Tisch trocken. Ich Very-Special-Person schlurfte besiegt und very nass nach Hause. Februar sucks.
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