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Die WahrheitGesunde Coronamüdigkeit

Gefühlt jede vierte Nachricht, die in den vergangenen Wochen einging, meldete, dass der Absender an Covid erkrankt ist. Es reicht!

K aum eine Neuigkeit habe ich seit Jahresanfang häufiger gehört als die, jemanden habe es „nun schließlich auch erwischt“. Bei Inzidenzen jenseits von Gut und Böse stieg die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person aus dem engsten Bekanntenkreis an Covid erkrankte, zuletzt geradezu ins Lächerliche.

„Hallo, ich bin heute positiv getestet worden“, lautete gefühlt jede vierte Nachricht, die in den vergangenen Wochen in Familienchats oder beruflichen E-Mail-Verteilern einging. „O je, tut mir leid, gute Besserung“, lautete dann stets die zuverlässig abgesetzte Replik von allen Seiten.

Auch ich reihte mich jedes Mal in die Schar der pflichtschuldig Besserung Wünschenden ein und hätte, wäre ich selbst infiziert worden, ebenso erwartet, dass mir jeder einzelne Freund und jede Kollegin gute Besserung wünschte. Damit ist nun seit einer Weile Schluss, ja viel zu spät habe ich damit aufgehört! Ich wünsche niemandem mehr „Gute Besserung!“ – und alle sollten es mir nachtun.

Mit Beginn des Monats Februar hätte man sich deutschlandweit darauf einigen sollen, dass wir „es“ jetzt halt alle haben. Wir können nichts dagegen tun, am allerwenigsten mit halbherzig abgespulten Floskeln. Wenn mir jetzt jemand schreibt, er oder sie sowie seine oder ihre gesamte Bagage samt Patenkind, Haustier und Amazon-Alexa habe Schnell- und PCR-Test mit „positiv“ bestanden, texte ich fürderhin nur noch: „Okay.“

Lässt mich das wie einen Psychopathen wirken? Möglicherweise. Ändert es etwas am weiteren Krankheitsverlauf der Betroffenen? Wohl kaum. Ein rasch getipptes „Okay“ oder ein „Hm“, „Ah ja“ oder von mir aus auch „Uff!“ bringt nicht mehr und nicht weniger als ein ritualisiertes Gute-Besserung-Schreiben.

Mit bröckelnder Höflichkeitskultur hat das nichts zu tun. Wir müssen den Weg ebnen für Durchseuchung, für eine Durchseuchung des Phrasenwaldes! Man sollte das Einfangen der Krankheit im Jahr drei der Pandemie mit dem versehentlichen Fallenlassen des Mobiltelefons gleichsetzen: Jedem von uns passiert es hin und wieder, in den meisten Fällen bleibt es dank Schutzimpfung beziehungsweise -hülle folgenlos, und falls doch ein „Kratzer“ oder ein „Wackelkontakt“ zu spüren ist, muss man damit leben – die nächste „Generation“ kommt bestimmt.

Augenblick, ich kriege gerade eine SMS rein … Ist ja ein selten genutztes Medium heutzutage. So, so, mein guter Kumpel P. hat sich nach anhaltendem Husten und Halskratzen gestern zweifach positiv getestet und in Isolation begeben. „Okay“, antworte ich routiniert. Wie? Was soll das heißen: „Mehr fällt dir nicht ein? Wie kann man nur so kaltherzig sein!?“

Wie wäre es statt Vorwürfen mal mit Genesungswünschen und Empathie für mich?! Abstumpfung und Coronamüdigkeit, Verdrängung und angstbedingte Übersprungshandlungen sind schließlich kein Zuckerschlecken!

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Torsten Gaitzsch lebt in Frankfurt am Main. Er war von 2011 bis 2022 und ist seit 2024 wieder Redakteur beim Satiremagazin Titanic. Nebenbei betreibt er eines der letzten Blogs Deutschlands und schreibt gelegentlich Bücher.
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