Die Wahrheit: Der Briefmarkenpapst

Er kam spät, sammelte Briefmarken und revolutionierte die irische Post. Am Ende konnte er nicht zahlen und verschwand in Kanada.

Catríona war überrascht. „Was für eine schöne Briefmarke“, rief sie und hielt die Karte an meine Mutter hoch. „Diese Marke habe ich noch nie gesehen.“ Jetzt war ich überrascht, denn Catríona ist Schalterbeamtin im Postamt des Nachbardorfes im Westen Irlands. „Die Hauptpost in Dublin schickt uns keine Sondermarken“, erklärte sie, „wie kriegen bloß die Dauerserie für unseren Schalterdrucker.“

Die Marke, die sie so entzückte, ist blau und gelb, eine Hand hält eine lächelnde Erdkugel, darunter steht „Die Zukunft liegt in deinen Händen – für die Menschen, für den Planeten“. Ich hatte einige Marken online bei der Post bestellt, weil ich nicht erst an dem winzigen Postschalter, der in der Ecke des Tante-Emma-Ladens untergebracht war, frankieren wollte.

In den 1950er Jahren wäre Dublin beinahe zur Briefmarkenhauptstadt der Welt geworden, jedenfalls, wenn es nach Paul Singer gegangen wäre. Der war 1953 nach Irland gezogen, lernte die Familie Shanahan kennen, die ein Auktionshaus für Möbel betrieb, und überredete sie, in den Briefmarkenhandel einzusteigen, an dem er dann beteiligt war.

Fortan veranstaltete das Auktionshaus wöchentliche Briefmarkenauktionen. Die Ware beschaffte Singer auf Reisen quer durch Europa. Wer in das Unternehmen investierte, sollte binnen kürzester Zeit 25 Prozent Gewinn machen, versprach Singer. Offenbar wirkte er so seriös, dass das Geld in Strömen floss. Singer nahm mehr als 5 Millionen Pfund ein, zeitweise hatte er 100 Angestellte. Einige davon mussten bei den Auktionen mitbieten, um die Preise in die Höhe zu treiben.

Ende der Pyramide

Das Unternehmen warf zwar Gewinn ab, aber nicht genug, um die Profite auszuzahlen, so dass Singer dafür das Geld von neuen Investoren verwendete. Irgendwann stürzt solch ein Pyramidensystem natürlich in sich zusammen. Bei Singer war der Auslöser ein Einbruch im Auktionshaus, die Beute war eine halbe Million Pfund wert, die Marken waren nicht versichert.

Als der Einbruch bekannt wurde, machte sich unter den Investoren Panik breit, und sie verlangten ihr Geld zurück. Das hatte Singer nicht. Er wurde wegen betrügerischen Bankrotts zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Berufungsverfahren zwei Jahre später kam er frei, sein Verteidiger war Seán MacBride, der frühere Stabschef der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und spätere Friedensnobelpreisträger sowie Mitbegründer von Amnesty International.

In der Nacht nach seinem Freispruch verschwand Singer nach Kanada, wohin er beizeiten heimlich viel Geld auf ein Privatkonto transferiert hatte, und ward nie mehr gesehen. An der neuen Marke hätte er kein Interesse, denn die ist Massenware. Übrigens wird jede Ansichtskarte, die mit der Klimaschutzmarke frankiert ist, per Flugzeug befördert, denn „Irland ist eine Insel“, so die Post.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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