Die Wahrheit: Wo bleibt Poutine?
Immer öfter hört man davon, dass in Kanada ein Heißgetränk namens „coffee“ äußerst beliebt sein soll. Hat das wieder mit Trudeau zu tun?
S tell dir vor, es ist Buchmesse, und keiner geht essen. In Frankfurt ist dieser Tage jedenfalls nichts davon zu spüren, dass Kanada das Gastland des wichtigsten Ereignisses des Jahres und damit auch kulinarischer Botschafter in Ebbelwei-Town ist. Erwartet hätte ich, dass jede zweite Starbucks-Filiale vorübergehend in das kanadische Pendant Tim Hortons verwandelt worden wäre. Dort säßen dann kanadische Kreative, bastelten Justin-Trudeau-Memes und stürzten sich die neuesten In-Getränke die Kehle runter.
Immer öfter hört man etwa auch diesseits des großen Teiches davon, dass in Kanada ein Heißgetränk namens „coffee“ äußerst beliebt sein soll. Dazu nascht man etwa Gebäck wie in Québec oder wie in der Hudson und der Baffin Bay Buchteln. Nach zwanzig Jahren fortgesetzten Kaffeegenusses entwickelt man eine Reibeisenstimme wie Bryan Adams oder Céline Dion.
Ich hätte mir außerdem gewünscht, dass das Kultgesöff aufgetauter Schnee in meinem hessischen Wohnort Fuß fasst, aber in Sachen exotische Erfrischungsdrinks scheint nach wie vor Ostasien die Nase vorn zu haben: Bubble Tea!
Die lokalen Medien schweigen sich aus über die mystische Riesennation. Von einem dort herrschenden, beunruhigenden gesellschaftliches Problem habe ich noch kein Wort gelesen: Alk. Kann man das Fleisch der lustigen Meerestauchvögel wirklich essen? Einem Forscher zufolge soll es wie „sehr reifer Käse“ schmecken. Apropos Käse: Käsebröckchen streut der gemeine Kanadier auf seine Pommes, ertränkt sie in Bratensoße und Selbsthass und vermarktet sie unter dem Namen Poutine als Delikatesse.
Da
Da frage ich mich: Ist Kanada für die USA das, was Belgien für Deutschland ist? Eine benachbarte, oft verlachte, teilweise frankophone Monarchie mit einer schrägen Vorliebe für Fritten? Der Vergleich mag bemüht sein, aber das Phänomen Poutine wäre unbedingt einer näheren Betrachtung wert. Dass sie es zum Nationalgericht geschafft hat, darf auch als Provokation gegenüber dem großen Bruder im Süden verstanden werden.
Klar, in typischen kanadischen Berufen wie Eishockeyspieler, Holzfäller, Mountie oder Niagarafälle-Wasserhahnaufdreher braucht es viel Energie. Die holt man sich außerdem vom nahrhaften Fleisch „versehentlich“ überfahrener Karibus oder von Lachsen, die sich die Ureinwohner mit beherzten Bissen aus eisigen Gebirgsflüssen schnappen.
Dass in Neufundland und Labrador Wirbeltiere mit davon abgeleiteten Namen das Hauptnahrungsmittel stellen, ist hingegen ein böses Gerücht, das ich unter Messebesuchern streuen werde, bis mir ein Informationsstand das Gegenteil beweist. „Pssst“, werde ich flüstern, „in Ottawa essen sie Elch. In Winnipeg Meerschweinchen. Und überall Bär, Wal, Moschusochse, Robbe, Streifenhörnchen sowie (Justin) Biber!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!