Die Wahrheit: Nesttäuscher mit geheimer Identität
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (123): Der Kuckuck hat nicht wenig mit dem Geheimagenten James Bond zu tun.
Jetzt ist er wieder da. Man hört ihn, sehen tut man ihn jedoch so gut wie nie: den Kuckuck. In England wird die Ankunft der Kuckucke (Cuckoos) von den Zeitungen gemeldet. Es sind einzelgängerische „Langstreckenzieher“, die allerdings überwiegend nachts fliegen. Ihr Winterquartier liegt in Afrika. Alt- und Jungvögel fliegen im August los und kehren im Mai zurück. Nach einer 7.100 Kilometer langen Reise mit Zwischenstopps überwintern sie im Kongo und starten im Februar zurück in ihre Brutgebiete. Ihre Zugrouten werden seit einigen Jahren mit Satellitentelemetrie verfolgt.
Die englische Historikerin und Falknerin Helen Macdonald berichtet in ihrem Buch „Abendflüge“ (2021), dass unter anderem der British Trust for Ornithology (BTO) Kuckucke mit dieser Technik ausrüstet. Wenn sie erfährt, dass BTO-Kuckucke als „verschollen“ gelten, denkt sie an „Kriege in Übersee“ und fragt sich, „wie diese Kuckucke in unsere überwachungshungrige Welt und in die digitalisierten Träume vom netzwerkzentrierten Krieg passen“. Es kam in den letzten Jahren wiederholt vor, „dass mit Sendern versehene Vögel als Spione gefangen genommen wurden – als lebende Drohnen“.
In Europa gibt es neben dem Gemeinen Kuckuck nur noch den Häherkuckuck in Spanien. Der hiesige legt seine Eier in die Nester von Teichrohrsängern, Bachstelzen oder Heckenbraunellen, wobei er sie denen der Wirtsvogeleier anähnelt. Die Kuckuckskinder schlüpfen schnell und schmeißen als erstes die Eier ihrer Wirte aus dem Nest. Umgekehrt weigern sich diese aber oft, das fremde Ei auszubrüten – oder sie füttern nur ein paar Tage.
Andererseits hat man beobachtet, dass ein junger Kuckuck, der gerade das Nest verlassen hatte, auch noch von verschiedenen Vögeln, die vorbeiflogen, gefüttert wurde.
Übel riechendes Sekret
Der Häherkuckuck legt seine Eier in die Nester von Rabenvögeln, seine Jungen werfen die Eier der Wirtsvögel nicht aus dem Nest, sie beschützen das Gelege sogar, wie spanische Forscher 2014 in Science berichteten, indem sie bei Annäherung etwa eines Raubvogels ein übel riechendes Sekret absondern, und das hilft – statistisch gesehen.
Der Biologe Cord Riechelmann schreibt in seinem Buch „Vögel: Vom Singen, Balzen und Fliegen“ (2021), dass die Häherkuckuckseltern die Wirtsvögel zunächst täuschen müssen: Das Männchen greift deren Nest zum Schein an und lockt sie auf diese Weise davon weg, während das Weibchen blitzschnell ein Ei reinlegt. Noch unglaublicher: Die beiden Kuckucke beobachten fürderhin „das Gedeihen ihrer Brut und Jungen im fremden Nest und reagieren im Falle der Vernachlässigung durch die Wirtseltern heftig“. Woraufhin diese sich fürderhin mehr Mühe geben. Beide Elternpaare kannten sich offenbar schon länger, so Riechelmann.
Helen Macdonalds Kapitel „Ein Kuckuck im Haus“ handelt von einem Kuckuck namens Goo, den der Mitgründer des Inlandsgeheimdienstes MI5, Maxwell Knight, zu Hause aufzog. Der später frei fliegende Vogel erwiderte seine Zuneigung, flog dann aber schließlich doch in den Süden. Maxwell Knight (1900–1968) wurde Vorbild für die Darstellung des Führungsoffiziers „M.“ von Ian Flemings „James Bond“. Knight war ein Tierliebhaber und schrieb viele Tierbücher – das über den „Kuckuck im Haus“ las Helen Macdonald als Kind. Nach Ausscheiden aus dem Dienst 1956 wurde er Redakteur für mehrere Tiersendungen der BBC.
Schmuggler
Für den „Bird-Watcher“ (ein Slangausdruck des britischen Geheimdienstes für Spion) Maxwell Knight war die Spionage identisch mit Verhaltensforschung und die Kuckucke waren gefiederte Äquivalente des Leiters von Infiltrationsagenten: Sie „schmuggeln“ ihre „Chamäleoneier“ ins Nest der „Getäuschten“. Beim Aufziehen von Goo verwischten sich für ihn erstmalig die Grenzen zwischen Tier und Mensch. Knight hielt viele Wildtiere in seinem Haus. Seine Agentin und langjährige Gefährtin Joan Miller schrieb: „Maxwell war immer neugierig auf Tiere, aber er gewann sie nie lieb, von mir wurden sie dagegen immer aufrichtig geliebt.“
Beim Beschreiben des Verhaltens seines Kuckucks Goo verwendete Knight „Begriffe und Kategorien aus seinem Geheimdienstleben: wie Freund, Fremder, Betreuer“, schreibt Helen Macdonald, „zudem war der Kuckuck ‚kompetent und skrupellos‘, seine geheime Identität nie gefährdet“. Knight war „entzückt, dass sich die anfängliche Aggression des flügge werdenden Vogels in Zahmheit und absolutes Vertrauen verwandelte … Seine ‚freundschaftlichen Avancen‘ dem Kuckuck gegenüber wurden ‚vollständig erwidert‘.“
Er wurde darob unsicher, ob die „‚Kluft zwischen Menschen und anderen Tieren … so tief ist, wie manch einer denken mag‘.“ Auf alle Fälle war der Kuckuck „das faszinierendste gefiederte Haustier, das er je gehabt hatte“. Helen Macdonald ist dagegen in ihrem Kuckucks-Kapitel eher von Knights Übertragung der „Secret-Intelligence“ auf die Natur fasziniert als von Goo, dem Kuckuck.
Sie besiedeln die Alte Welt
Über einen quasi deutschen Vogel heißt es auf der Kuckucks-Seite des Nabu: „Die Familie der Kuckucke (Cuculidae) umfasst rund 130 Arten. Sie besiedeln weite Teile der Alten und Neuen Welt. ‚Unser‘ Kuckuck (Cuculus canorus) ist die einzige Art in Mitteleuropa. Nur in Spanien und vereinzelt auch in anderen Mittelmeerregionen gibt es einen weiteren Verwandten. In Deutschland ist der etwa taubengroße Vogel also unverwechselbar. Mit dem bekannten und weit zu hörenden Kuckucksruf markiert das Männchen sein Revier.“
Ihre Zahl nimmt ab, wegen des Insektensterbens und der Verluste an Lebensraum, „möglicherweise kommt es auch auf den Zugwegen und in Überwinterungsgebieten zu größeren Nahrungsverlusten, zum Beispiel beim großflächigen Einsatz von Giften gegen Heuschreckenplagen“.
Man meint festgestellt zu haben, dass infolge der Klimaerwärmung die Insekten immer früher schlüpfen, und auch die Vögel (unter anderem Teichrohrsänger, in deren Nester die Kuckucksweibchen gern ihre Eier legen), sind laut Bayerischer Rundfunk „längst da“. Die Kuckucke bleiben aber bei ihren Rückfluggewohnheiten. Nun wird befürchtet, dass sie zu spät kommen – und deswegen immer weniger Nachwuchs bekommen, sie gelten bereits als „gefährdet“. Auf der Nabu-Internetseite heißt es: „Der Langstreckenzieher kämpft mit den Folgen des Klimawandels.“
Zwar nutzen die Kuckucke zwei Flugrouten in den Süden, aber ihre Wirtsvögel können ihnen diese nicht zeigen, die meisten sind sowieso keine Zugvögel. Die jungen Kuckucke müssen die Route also kennen bevor sie sie kennen lernen. Der BUND Hessen vermerkt lapidar: „Der Kuckuck legt seine Eier in fremde Nester. Den Grund dafür kennt bereits jedes Kind.“
So wie der britische Geheimdienstler Maxwell Knight während des Kalten Krieges die jungen Tierliebhaber unter seinen Hörern enthusiastisch ermunterte, „Naturdetektive“ zu werden, gibt es jetzt auch hierzulande eine Internetseite für „Naturdetektive“ – beim Bundesamt für Naturschutz (BfN): „Wenn die Kuckucks aus den Winterferien in Afrika zurückkommen, sollten manche Singvögel ihre Nester nicht mehr aus den Augen lassen. Denn die Kuckucks sind ein gerissenes Pärchen“, heißt es da.
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