Die Wahrheit: Beschnittener Semitismus
Als im Nahen Osten die Raketen flogen, war es an der Zeit, die Musik- und Literaturbestände zu überprüfen: Was ist jüdisch? Und was arabisch?
E s ist kompliziert. Unlängst haben zwei Spaßvögel (m/w) aus friedliebenden Schlaraffenländern wie Afghanistan beziehungsweise Sri Lanka den Begriff „Menschen mit Nazihintergrund“ vorgeschlagen. Für Deutsche wie mich, deren Großväter mindestens in der Wehrmacht waren. Mitgehangen, mitgefangen.
Da hätte mein Opa sich besser mal standrechtlich erschießen lassen sollen. Weshalb ich nun, als Nachgeborener, ratlos vor armseligen Gärtchen stehe, wo einmal Synagogen sich erhoben. Oder vor dem Schlamassel im Nahen Osten.
Als neulich nun wieder palästinensische Knallkörper und israelische Gegenknallkörper den nächtlichen Himmel über Jerusalem oder Aschkelon illuminierten, habe ich, wie jeder vernünftige Mensch mit Nazihintergrund, ganz still Inventur gemacht. Ich halte das für vernünftiger, als mich von Stand-up-Experten aus dem Internet in einen der beiden Schützengräben kommandieren zu lassen. Was weiß ich denn schon?
Zunächst schreite ich meine Plattensammlung ab. Sie soll mir Auskunft erteilen über mich selbst. Mal sehen. Ich weine mit Umm Kulthum aus Ägypten und tanze mit Omar Souleyman aus Syrien. Eine Schwäche habe ich für Yusuf Islam, fand den aber besser, als er sich noch Cat Stevens nannte. Das war’s auch schon auf arabischer Seite.
Das Gewusel vor der Klagemauer am Sabbat hingeben gäbe ein passendes Symbolbild für die jüdische Seite meiner Sammlung ab. Desgleichen die Bücher. Arabisches beginnt – und endet – mit einem schmalen Bändchen aus der Feder des einsamen Avicenna in Persien. In Córdoba steht dann schon Maimonides am Anfang mehrerer Regalmeter jüdischer Literatur, bis nach etwa 200.000 Seiten und 800 Jahren ein schlecht gelaunter Maxim Biller den Stab übernimmt. Mein Kunstverständnis ist eindeutig islamophob.
Judenfeindlicher Kleiderschrank
Der Kleiderschrank hingegen ist überraschend judenfeindlich. Schuhe aus der Medina von Marrakesch, massenweise T-Shirts aus Bangladesch, darunter auch eines mit hebräischer Schrift und dem schicken Wappen der Israeli Defense Forces, das ich gern zu meinem herrlich flauschigen Palästinensertuch aus Jordanien trage. Mode muss provozieren!
In der Küche habe ich einmal den „Palestine“-Aufkleber von den Erdbeeren geknibbelt, und darunter kam ein „Product of Israel“-Sticker zum Vorschein. Ein andermal war ich milde irritiert darüber, dass es immer wieder zu Engpässen an Gaskartuschen für mein Sprudeldings von SodaStream kam, weil die israelische Firma und ihre palästinensischen Beschäftigten im Westjordanland zum Opfer allzu idealistischer Boykottbemühungen wurden.
Ein offener Blick in meine Unterhose zeigt, dass mein erbfaschistoides Germanengemächt beschnitten ist – wenn auch aus phimotischen, nicht rituellen Gründen. Es bleibt kompliziert.
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