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Die WahrheitZwangsire und Zwangsbritin

Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland lässt manche Passbesitzer zu Grenzgängern der Bürokratie werden.

M anche Menschen haben Pech mit ihrem Geburtsort. Bei mir war es West-Berlin, und deshalb bin ich schon als Kind zum Hertha-Frosch mutiert. Anderen ist es schlimmer ergangen – Willie Hay zum Beispiel. Er gehört der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) an, die 1971 von Pfarrer Ian Paisley gegründet worden ist und seitdem dafür kämpft, dass Nordirland britisch bleibt.

Unglücklicherweise kam Hay 1950 zehn Meilen zu weit westlich auf die Welt, nämlich in der Grafschaft Donegal. Und die gehört zur Republik Irland. Also sei er Ire, stellte das Innenministerium in London fest. Sei er nicht, beteuerte Hay. Schließlich sei er 2014 zum Lord ernannt worden und ins britische Oberhaus eingezogen. Seitdem heiße er Lord Hay of Ballyore. Dieses Kaff kennt kein Mensch. Es liegt im Wahlbezirk Glendermot in der Gemeinde Clondermot in der Baronie Tirkeeren in der Grafschaft Derry. Hay ist also bloß ein Miniatur-Lord.

Aber er war sogar mal Bürgermeister von Derry, Nordirlands zweitgrößter Stadt, die bei Hay und seinen Parteifreunden Londonderry heißt. Protestantische Siedler haben der Stadt den Namen im 17. Jahrhundert verpasst, um den Londoner Handelshäusern für die Finanzierung der Stadtbefestigung zu danken.

Hay sagte, es sei „vollkommen verrückt“, dass Nordiren, die nie in der Republik Irland waren, Anrecht auf einen irischen Pass haben, aber Menschen wie er keinen britischen Pass bekommen können. Die Einbürgerung würde ihn 1.300 Pfund kosten, doch Hay hat Geld wie Heu. Aber er verweigert den vorgeschriebenen Staatsbürgerschaftstest. Deshalb ist er gezwungen, seinen irischen Pass vorzuzeigen, wenn er „ins Mutterland“ nach Großbritannien reist.

„Im Gegensatz zum Londoner Innenministerium verteilen die Iren nämlich gern Pässe an ihre Bürger“, lamentiert er. „Es gibt nichts, was sie nicht tun würden, um einen Pass auszustellen.“ Man könne den Passantrag sogar im Internet stellen. „So raffiniert sind die.“

Emma de Souza ist es umgekehrt ergangen. Sie ist in Derry geboren, hat aber die irische Staatsbürgerschaft, was aufgrund des Karfreitagsabkommens von 1998 erlaubt ist. Die irische Regierung hatte damals die Vereinbarung, wonach jedem in Nordirland geborenen Menschen die Wahl der Staatsbürgerschaft freigestellt ist, gesetzlich verankert. Die britische Regierung hat das bis heute nicht getan, und so gelten alle Nordiren als Briten, ob sie wollen oder nicht.

De Souzas Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung für ihren US-amerikanischen Ehemann wurde abgelehnt, weil sie den Antrag als Irin gestellt hatte. Ihr wurde beschieden, dass sie den Antrag entweder als Britin stellen oder ihre britische Staatsbürgerschaft aufgeben müsse. Die sei ihr aber ohne ihr Wissen aufgezwungen worden, sagt sie.

Vielleicht kann sie ja mit Hay die Staatsbürgerschaft tauschen. Und ich könnte mit einem Borussia-Dortmund-Fan den Geburtsort tauschen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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1 Kommentar

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    06438 (Profil gelöscht)

    Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik ist heute kaum sichtbar, dank des Erbes der gemeinsamen EU-Mitgliedschaft Großbritanniens und Irlands und der gemeinsamen Umsetzung des Karfreitagsabkommens - bis jetzt. Ob England das Karfreitagsabkommen auch zukünftig respektieren wird bleibt abzuwarten.

    An den meisten der rund 300 Übergängen zwischen Nordirland und der Republik sind die Geschwindigkeitsbegrenzungen die einzigen Anzeichen dafür, ob Fahrer eine internationale Grenze überschritten haben: Britische Meilen im Norden, europäische Kilometer im Süden.

    Das war bei Ralf Sotchek als eingeborener Bioberliner in seiner Geschichte völlig anders - er genoss die Freizügigkeit (free movement) in der damaligen Enklave Berlin - die Mauer war weitestgehend dicht - und nur nach Überwindung des Transits konnte er seine Freizügigkeit - in Westdeutschland angekommen - wieder voll ausleben und geniessen.

    Ralfs Geschichte über Mister Hay ist doch deswegen „vollkommen verrückt“ weil übertragen auf die damaligen Berliner Verhältnisse wäre Mr. Hay ein Westberliner gewesen der in der damaligen Hauptstadt der DDR, also Ostberlin um einen Pass nachfragt - und damit seine Bewegungs- und Reisefreiheit zu 99,5% an den Nagel hängt. Nach meiner Kenntnis kam das selten vor - ähnlich selten wie heute ein Nordire, der sich um einen britischen Pass bemüht.

    Geschätzt gibt es 5 Millionen Briten die aufgrund Ihrer irischen Abstammung das Recht haben, sich einen irischen Pass ausstellen zu lassen - und diese Option auch wahrnehmen. Und mit diesem irischen Pass lässt sich für Briten die reichlich eingeschränkte Aufenthalts- oder Reisefreiheit in Europa durch den Brexit für Engländer leicht umgehen.

    Der berühmteste Fan von Borussia Dortmund heißt übrigens Jürgen Klopp der als erfolgreicher ehemaliger Trainer der Dortmunder nun in England arbeitet - mit einem Europatauglichen Pass - versteht sich.

    Warum sollten das Briten oder Iren anders machen?