piwik no script img

Die WahrheitSechzehn Kilo Bass

Mit einem Subwoofer ein mittleres Erdbeben auslösen, ist der Traum vieler Jugendlicher. Aber was, wenn es tatsächlich passiert?

V iel hatte ich nicht in meiner Jugend: kleines Zimmer, kleiner Freundeskreis, kleines Geld. Umso wichtiger war mir das, was ich hatte. Und ich hatte die Concept E Magnum Power Edition des Lautsprecherherstellers Teufel.

Im Wesentlichen bestand dieses Soundsystem aus einem diabolischen Subwoofer, der ohnehin schon ordentlich Kraft hatte, aber durch das Upgrade „Power Edition“ nochmals verbessert worden war. Sechzehn Kilogramm wog das infernale Teil, das ich unter Aufbringung all meiner Ersparnisse und Kräfte eines Tages in die Mietwohnung im dritten Stock hievte, in der ich aufwuchs.

Der Krachklotz war mein ganzer Stolz. Ich positionierte ihn dort, wo sich in meinem brüchig-hölzernen Billigschreibtisch zuvor ein paar nun ausgebaute Schubladen mit Schulzeug befunden hatten. Zu lernen brauchte ich nicht mehr, ich hatte ja jetzt die Concept E Magnum Power Edition. Durch jenen Holzmantel unnötigerweise zusätzlich verstärkt, entfaltete die Höllenmaschine einen Bass, der nicht nur für mein Minizimmer, sondern auch für die Wohnung, das gesamte Haus und die versammelte Nachbarschaft zu extrem war.

Immer wieder klopfte meine Mutter mahnend an die Tür, drückte ich die tieffrequenten Schallwellen testweise auf gerade mal zwanzig Prozent der Leistungsfähigkeit hinauf. Mehr wagte ich gar nicht, hatte ich doch in dubiosen Internetforen von platzenden Trommelfellen und ewigen Hörschäden gelesen. Ohnehin hätte schon auf niedriger Stufe jederzeit eine tragende Wand nachgeben können. Große Macht lag in meinen Händen, doch ich ging verantwortungsvoll mit ihr um.

Bis es eines Freitags meinen Geburtstag zu feiern galt und die Fernbedienung für das Gerät an einen betrunkenen Gast geriet. Ich stand in jenem Moment mit ein paar Leuten draußen vor der Haustür, wo unser Nachbar stets sein Oldtimer-Cabrio geparkt hatte. Plötzlich begann das wacklige Blech rhythmisch zum Elektroklassiker „Sandstorm“ zu vibrieren. Eine verängstigte Mitschülerin vermutete ein Erdbeben. Ich dagegen gewahrte langsam, was vor sich ging.

Ehe ich nach oben stürmen und eingreifen konnte, hatten Anwohner schon die Polizei gerufen. „Muss man denn immer gleich die scheiß Bullen rufen?!“, brüllte ein Fußballkamerad den Beamten im Treppenhaus entgegen, was diese glücklicherweise nicht hören konnten, weil sie ja wegen eben jener alles übertönenden Ruhestörung gerufen worden waren. „Feiern Sie bitte ein wenig leiser, sagen wir normalerweise“, meinte zum Abschied einer der beiden Polizisten. In meinem Falle würden sie mir allerdings raten, das Ding am besten nie mehr anzuschalten.

Heute hause ich in einer noch kleineren Wohnung und traue mich nicht, die Concept E Magnum Power Edition auch nur aufzubauen. Im Keller harrt sie ihres Einsatzes. Irgendwann, wenn ich in ein Schloss ziehe, schließe ich sie wieder an. Ihr kriegt das dann sicher mit.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Cornelius Oettle
Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.
Mehr zum Thema

0 Kommentare