Die Wahrheit: Brotzeit ohne die Twitteria
Schon jetzt ist das Bild ein wahrer Klassiker. Bevor es aber davon nur noch Fälschungen gibt, haben wir das Original rasch analysiert.
Die Zarten sind heiße, nein, sorry, es muss heißen: Die Zeiten sind harte. Inzidenzen höher als Wahlbeteiligungen, Kontaktbeschränkungen in den besten Familien, Maskenpflicht und schnelle Überwachung durch soziale Medien. Und dann noch dieses desaströse Wahlergebnis! Da hilft der CDU in Baden-Württemberg auch die alte Schule nicht. Matthias Miller musste das am eigenen Leib erfahren, er wollte in den Landtag und hatte sich gedacht, dass Beschaulichkeit und echte Werte am Frühstückstisch schon die Stimmen holen. Aber er hat die Brotzeit ohne die Twitteria gemacht und für Gespött gesorgt … Wir von der Wahrheit haben eine renommierte Kunstkritikerin in ihrer Freizeit gebeten, das von der CDU verbreitete und rasch wieder zurückgenommene Meisterwerk (siehe unten) noch einmal für uns zu analysieren.
Ein Frühstücksfoto also, um vor der Wahl mal richtig zu zeigen, dass man nicht so ein abgehobener Politiker ist, sondern einer aus dem Volk geblieben ist.
Punkt eins: Die Damasttischdecke weglassen, ganz wichtig. Ist ohnehin besser, am Ende wird sie nur wieder vollgekleckert und muss gewaschen und gebügelt werden, besser, sie bleibt gleich in der Schublade. Zumal mit fettigem Aufschnitt immer Unfälle passieren, aber der gehört nun einmal auf einen richtigen Frühstückstisch. Ein bisschen zu klein für die Wurst ist die Platte schon, ja, das sieht man gleich am Schinkenzipfel, der über dem Rand baumelt, aber etwas leger darf es bei solchen Gelegenheiten ruhig zugehen. Und außerdem ist sie ein Erbstück von Tante Gertrud, das selbstverständlich in Ehren gehalten wird.
Was waren das immer für wunderbare Familienfeste bei ihr, und dann jedes Mal das große Hallo, wenn sie zum Steinhäger auf ebendieser Platte ihre legendären russischen Eier servierte, mit schön viel Majonäse und obendrauf große Tupfer mit echtem deutschen Kaviar. Die mochte sogar Onkel Willi, dabei war der, seit er sich damals den dicken Zeh abgefroren hatte, gar nicht gut auf alles Russische zu sprechen. Jedenfalls: Wunderbare Feste waren das bei Tante Gertrud, wie gesagt, bis zu dem Vorfall mit Großkusine Martha 1985. Nie wieder wurde darüber geredet, aber natürlich erinnern sich alle nur zu gut daran, gerade bei solchen Gelegenheiten. Ob jemand die augenzwinkernde Reminiszenz bemerkt, den in den Gouda-Block gerammten Käsehobel?
Käseröllchen sehen gut aus
Schade, dass Tante Gertrud den schönen großen Servierteller Gerlinde vererbt hat, der hätte sich ja bei solchen Gelegenheiten prächtig als Unterlage für den Käse gemacht. Macht nix, werden die Käsescheibchen einfach gerollt, dann passt alles prima auf das weiße Schälchen. Käseröllchen sehen einfach immer sehr gut aus und platzsparend sind sie außerdem. Auch wenn sie manchmal danach zusammenkleben, aber nur, wenn die Zimmertemperatur zu hoch ist und sie ins Schwitzen kommen, bei 18 Grad Raumtemperatur wird das sicher nicht passieren. Und zur Not gibt’s heute Abend halt Käsesalat.
Nun noch die Vase mit den Tulpen unterbringen, vielleicht aufs Klavier stellen? Besser in die Mitte des Tischs, das wirkt schön fröhlich. Immer bringt jemand Tulpen mit, wobei, eigentlich war ja mit zwei Blumensträußen gerechnet worden. Aber gut, kommt halt die rosa Kerze, die eigentlich für das Grab von Großcousine Wilma gedacht war, in die andere Vase, sieht auch schön aus. Kerzenlicht beim Frühstück hat ja ohnehin immer etwas Erhebendes, und für Wilma tut’s auch so ein Ding für zwofuffzich aus dem Supermarkt, wenn man’s recht bedenkt.
Fehlt noch was? Ah, die Wassergläser. Es ist sehr wichtig, viel Wasser zu trinken, und man kann gar nicht früh genug damit anfangen. Hat ja auch schon Wilmas Mann Albert immer gesagt: „Trinkt Wasser, singt und wandert.“ Und was hat der Mann gesungen, und was ist er gewandert, von hier bis in den Schwarzwald und wieder zurück, na ja, gut, fast, war halt blöd, dass er im Dunkeln partout die Abkürzung über den fast zugefrorenen Fluss nehmen wollte. Tja, man selbst steckt nicht drin, sozusagen.
50 Shades of Gelb
Oh. Das ist jetzt aber schlecht, das Gelb der Tomatenschüssel beißt sich doch sehr mit dem des Orangensafts. Die Schüssel muss aber dort stehen bleiben, um den Riss zu verdecken, der bei dem anderen Vorfall entstand, über den nicht geredet wird. Trink doch mal das Glas schnell leer, und dann füllen wir es mit Wasser auf, andererseits, gell, lass es besser bleiben, sonst bekommst du nur wieder Sodbrennen und willst heute Abend keinen Käsesalat. Wir stellen einfach den süßen Senf dahin, das Rot lenkt formidabel von den beiden Gelbs ab, und dass es gar keine Weißwürste gibt, fällt sicher niemandem auf.
Und jetzt nur noch schnell alles so umdrehen, dass die Etiketten nicht zu sehen sind, vor allem beim teuren Orangensaft. Bei der H-Milch ist es egal, soll ruhig jeder wissen, dass wir ganz normal im Supermarkt einkaufen. Schade, dass keine Eier mehr da sind, hätten sich jetzt gut gemacht, zumal mit den lustigen Wärmemützchen, die Wilma damals selbst aus der teuren Angorawolle gestrickt hatte. Wobei, hat die nicht auch Gerlinde eingesackt? Wäre ja typisch, und nun stehen sie bei ihr herum und verstauben, genau wie das schöne Hutschenreuther-Service. Aber immer alles haben wollen, ganz unrecht hatte Großkusine Martha damals eigentlich nicht, wenn man es genau bedenkt.
So, sieht doch gut aus alles, farblich sehr harmonisch, nicht zu protzig, heimelig und gleichzeitig weltoffen, das Olivenglas macht wirklich was her. Bringt bestimmt eine Menge Extrastimmen, das Foto, ha!
Gegendarstellung der CDU Baden-Württemberg: „#Servicetweet: Das Bild von Matthias Miller zeigt einen Haushalt und ist daher mit den aktuellen Corona-Regeln vereinbar. Um falsche Eindrücke zu vermeiden, haben wir es dennoch entfernt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind