Die Wahrheit: Tod eines Getränkemarkts
Eine erschütternde Nachricht: Der unbesingbarste Ort des Universums schließt seine Pforten. Und Element of Crime liefert die Begräbnismusik.
I m Hintergrund gibt Element of Crime „Delmenhorst“, und Sven Regener singt mit nordischer Lakonie von der ganzen Tristesse deutscher Provinz: „Hinter Huchting ist ein Graben / Der in die Ochtum sich ergießt / Und dann kommt gleich ‚Getränke Hoffmann‘ / Sag Bescheid, wenn du mich liebst.“
So gewiss es ist, dass die Liebe ungewiss ist und vorbeizieht, so sicher ist es, dass man auf der Straße des Lebens irgendwann hinterm Graben an einem „Getränke Hoffmann“ vorbeifährt. Hier der unbesingbarste Ort des Universums, dieser nüchterne Flachbau mit seinen von eckigen Getränkekisten gebildeten Gängen unterm kalten Neonlicht, der nur einem Zweck dient, Flüssigkeiten zu erwerben. Da die schmerzende, weil vergängliche und doch so wärmende Liebe als ewiger Grund, Musik zu machen. Ein Meisterwerk des poetischen Kontrasts.
Mein „Getränke Hoffmann“ liegt ganz prosaisch an der Hauptstraße. Neben einer Tankstelle. Am Eingang des Stadtteils. Hier fließt zwar nicht die Ochtum, aber direkt hinterm S-Bahnring hat Berlin gleich weniger Stromschnellen. Die großbürgerliche Ruhe des Dichterviertels hätte mir in meiner wilden Westberliner Jugend den Schlaf geraubt, als ich jedoch vor rund fünfzehn Jahren nach Friedenau zog, wurde ich von einer angenehmen Stille aufgenommen. Und als kurz darauf ein „Getränke Hoffmann“ um die Ecke eröffnete, weil vermutlich irgendjemand im Einwohnermeldeamt dem Unternehmen die Nachricht hatte zukommen lassen, dass fortan ein guter Kunde in der Nähe versorgt werden wollte, wusste ich: Hier lässt es sich wahrlich leben.
Jetzt schließt „Getränke Hoffmann“, wie ich vorgestern erfuhr. Eine erschütternde Nachricht. Wenigstens stirbt es nicht am großen, derzeit alles beherrschenden C, aber das neue, dicke B ist schuld. B wie Bauboom. Das lukrative Grundstück ist verkauft, ein Wohnhaus geplant, der Zweckbau wird abgerissen.
So ist der Lauf der Dinge, eine neue Quelle wird sich finden, einen Getränkemarkt muss man nicht beweinen, könnte man meinen. Aber ich muss mindestens tausend Mal das gastliche Etablissement besucht haben. Und auch wenn ich mit dem manchmal seltsamen Personal kaum mehr als drei Sätze gewechselt habe, ist es mir doch beinahe ans Herz gewachsen.
Zuvörderst der Marktleiter, ein schwuler Schriftsteller. Oder jedenfalls einer, der sich dafür hält. Und neben der Kasse seine im Selbstverlag herausgegebenen Bücher feilbietet. Während er den ganzen Tag kundig Bierkästen stapelt und sortiert, verkauft und verpfändet, gilt seine heimliche Leidenschaft dem Schreiben. Wobei seine Erzählungen und Gedichte leider alles andere als Meisterwerke sind.
Und so nimmt auch diese Geschichte kein glückliches Ende. Klugerweise konzentriert sich der Getränkemann nach dem plötzlichen Exitus seiner Arbeitsstätte nicht auf die Dichtkunst, er will keinen Neuanfang wagen, sondern geht in die Zentrale, Abteilung Inventur.
Das Leben ist noch immer der Welt unpoetischster Erzähler.
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