Die Wahrheit: Corona kurz und gut
Seit Jahrzehnten wird der kleine Mann verspottet und macht sich Sorgen um die Größe seines Penis. Aber in Pandemiezeiten hat er gewonnen.
Unter ein Meter siebzig bin ich. Ich kratze nicht mal dran. Nun bin ich in einem Alter, wo es sogar eher in die andere Richtung geht. Wenn es schlecht läuft, bin ich demnächst näher an ein Meter sechzig, statt die Latte nach oben zu reißen.
Früher als Kind war Größe kein Thema. Im Gegenteil, meist wurde man gelobt, wenn man weniger schnell wuchs, dann konnte man die Klamotten länger tragen. Spätestens als Jugendlicher wurde es dann bedenklich. Es gab erste Mädchen, die weit aufgeschossener waren, aber nicht aufgeschlossener. Ein Mann, der kleiner war? Das war nichts Großes.
Nirgends gab es einen Bernie Ecclestone als Rollenmodell, der mit seinen 1 Meter 58 jahrzehntelang seine Frau Slavica, die stattliche 1 Meter 88 hatte, beglückte. Kleine Frauen und große Männer waren normal in meiner Welt, umgekehrt war das, ohne prominent zu sein, ein Ding der Unmöglichkeit. Ich fand es als Jugendlicher darum sehr, sehr ungerecht, wenn kleine Frauen sich in große Männer verliebten und umgekehrt. Ich fand, Kleine sollten zu Kleinen gehören. Dazu machte ich mir Sorgen: Ich als kleiner Mann würde ja wohl auch einen kleineren Penis haben und ob der überhaupt groß genug sein würde, das zog ich sehr in Zweifel.
Ich versuchte, zumindest an der Körpergröße zu arbeiten. Im Ostwestfälischen heißt es: „Im Mairegen wächst man.“ Ich erklärte meinen Eltern kein einziges Mal, warum ich so oft durchgeregnet nach Hause kam. Als es mit dem Mairegen nicht klappte, probierte ich in meiner Verzweiflung auch andere Monate durch. Selbst vor Wintermonaten schreckte ich nicht zurück. Kaum jemand hatte so oft Grippe wie ich.
Dann kam auch noch Randy Newmann. „Short People“. 1977. Das lief dauernd im Radio. Ich war soeben volljährig geworden und damit quasi ausgewachsen, als Newmann sang: „Short people got no reason to live.“ Und: „Short people got nobody to love!“ Wir verstanden die englischen Texte ohnehin nicht, wie hätte ich da auf die Idee kommen können, dass darin Ironie stecken könnte? Angeblich ist der Song „in übertragenem Sinn“ gemeint, aber ich verstand genau: „They wear platform shoes / On their nasty little feet.“ Und ich stand da in meinen Holzclogs, die alle anderen auch trugen, sodass der Größenabstand gleich blieb.
Irgendwann fand ich mich endgültig mit meiner Größe ab. Aber dauernd musste ich lesen über kleine Männer wie Putin, Schröder, Sarkozy, Gysi oder Tom Cruise: Zwerg. Pygmäe. Huckel. Die müssen ihre Größe kompensieren! Wie oft wurde ich mit denen in einen Topf geworfen!
Aber nun bringt Corona die späte Rache. Kürzlich wurde gemeldet: „Große Menschen haben ein höheres Risiko, am Coronavirus zu erkranken. Für Menschen, die größer sind als ein Meter achtzig ist die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, doppelt so hoch wie für kleinere Personen.“ Seither träller ich meinen eigenen Randy-Newman-Song: „Short people got one reason to live …“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid