Die Wahrheit: Sie sind ihnen nicht Wurst
Schon wieder ein verheerender Corona-Ausbruch unter Fleischfabrikarbeitern. Was ist da bloß los? Ein Besuch im Schlachthaus.
Schlachthöfe als Corona-Hotspots! Großfleischereien als Virenschleudern! Tausende Fleischzerleger mit Covid-19 infiziert! Deutschland hat Angst. Macht Fleisch uns krank? Wird Wurst teurer? Müssen wir beim Kalbsschnitzelessen im Berliner Prominentenlokal Borchardts die Maske aufbehalten, damit uns Christian Lindner nicht erkennt und knuddelt? Und wer schlachtet eigentlich die ganzen Schweine, wo alle Großschlachtereien geschlossen sind? Alle? Nein, eine Firma hat keine Probleme mit Corona.
„Wir haben keine Probleme mit der bösen C-Krankheit, deren Namen wir nicht nennen“, sagt Hans Schmidt-Krämer, Geschäftsführer von Querfleisch, dem drittgrößten Tierzerlege- und Verwertungsbetrieb in der Bundesrepublik, angesiedelt im niedersächsischen Ort Kleinmehrten. Die rosige Haut des breitschultrigen ehemaligen Metzgers leuchtet regelrecht vor dem Hintergrund des rundum weiß gekachelten Lagers, in dem er uns empfängt.
„Wir haben seit jeher hohe Qualitäts- und Hygienestandards, damit nicht der eine oder andere Finger oder Mitarbeiter aus Versehen ins Brät gerät – und ansonsten gute Qualität der Waren, pünktliche Lieferung und günstige Preise. Und lecker muss es sein“, fährt er fort und reicht uns einen großen Teller mit Aufschnitt.
„Unser neuestes Produkt“, erklärt er. „Neben der Kinder- und Bärengesichtswurst gibt es jetzt eine, die statt der Augen und Ohren ein stilisiertes Coronavirus auf den Scheiben hat. Das lässt sich auch auf andere Themenbereiche ausweiten: Wahlkampf, Olympische Spiele, Jahrestage oder Landesflaggen. Und das Ganze sogar vierfarbig, also fleischfarbig.“
Keine Kontakte in der Freizeit
Dann berichtet er, wie die hohen Hygienestandards bei Querfleisch aussehen: „Am Morgen lassen wir unsere unzähligen Gast- … äh, Fremd- … äh, Leih- … äh, Hilfsarbeiter aus ihren Unterkünften. Wir haben hier Einzelunterbringung. Das ist zwar teurer und aufwändiger als die guten alten 20-Mann-Schlafsäle, aber es lohnt sich, dass unsere Mitarbeiter in ihrer Freizeit keinen Kontakt miteinander haben.“
Die Beschäftigten können sich in ihrer Freizeit nicht treffen? Auch nicht außerhalb der Firma? Schmidt-Krämer schüttelt den Kopf. „Nein. Die Kolleginnen und Kollegen bekommen ja keinen Freigang. Außerdem kriegt hier niemand Taschengeld, der ganze Lohn geht direkt an die Familien. Alles, was sie brauchen, bekommen sie von uns – Essen, Kleidung, Fernsehen, Internet. Daher können unsere Arbeiter auch draußen nichts kaufen oder konsumieren. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn unser Betrieb ist ja bei Hannover, da ist eh nichts los, nicht mal, wenn keine Pandemie ist.“
Zum Frühstück gibt es bei Querfleisch – wie bei allen Mahlzeiten – Produkte aus eigener Herstellung, „damit die Kolleginnen und Kollegen bei Kräften bleiben“. Nach dem Frühstück geht es zur Schicht, durch eine Desinfektionsschleuse.
„Da haben wir eine der Kammern umgebaut, wo den Schweinen sonst die Borsten weggemacht werden. Da kommen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der einen Seite rein, also nackt natürlich, und werden mit heißem Dampf einmal kräftig abgeduscht. Wenn sie wieder rauskommen, sind sie ganz sauber und sehen aus wie kleine rosa Schweinchen. Und damit es da nicht aus Versehen zu Verwechslungen kommt“, er kichert kurz auf, „ziehen sie dann die Firmenkittel an, Häubchen für die Haare, Mund-Nase-Schutz und los geht’s mit dem Kehledurchschneiden, Bauchaufschlitzen und Halbieren der Schweine oder Rinder oder was gerade bei uns so zerteilt wird.“
Und es gab in der ganzen Zeit bei Querfleisch keine Coronafälle?, fragen wir skeptisch nach.
„Doch, doch“, sagt Schmidt-Krämer, „natürlich bringen die Arbeiter immer mal wieder die eine oder andere Infektion herein. Wir hatten hier in den letzten Monaten und Jahren schon alles, was Sie im ‚Pschyrembel‘ Ansteckendes finden, jede Grippe, jeden Ausschlag. Aber unsere Mitarbeiter sind unser Kapital“, fährt er fort und nimmt sich eine Scheibe Wurst.
„Da können wir es uns gar nicht leisten, dass sie ernsthaft krank werden oder andere anstecken. Wir haben mit unseren Maßnahmen jede Infektion, jede einfache Grippewelle in der Vergangenheit unter Kontrolle gehabt. Und auch die böse C-Krankheit, deren Namen wir hier nicht nennen, stellt für uns deshalb keine Gefahr dar.“
Quarantäne in den Kühlräumen
Wie sehen denn die Maßnahmen aus?
„Wer einmal hustet, wird streng angeschaut. Wer ein zweites Mal hustet oder niest oder andere Symptome irgendeiner Krankheit zeigt, kommt erst einmal in eine mehrtägige Quarantäne in einem der Kühlräume. Nur für alle Fälle. Sicher ist sicher. Bei der Fleischverarbeitung geht es immerhin um die Wurst. Da kann man sich nicht durchwurschteln.“
Und was ist mit den Mitarbeitern, deren Gesundheitszustand sich nicht bessern will, sondern vielleicht sogar …
„Die werden natürlich erst mal fachgerecht zerlegt. Und dann … kommt drauf an, was der Markt gerade verlangt: Filets, Steaks, der Rest kommt in die Wurst. Wir haben gerade wieder viele Spezialitäten aus dem osteuropäischen Ausland im Angebot: Krakauer, Debreziner …“
Die schnelle Verarbeitung sei viel hygienischer, als wenn die Toten wochenlang in der Fabrik herumliegen würden. Das Fleisch wird bei der Verarbeitung erhitzt, dabei sterben die ganzen Viren und Bakterien ab. „Sie haben ja selbst gesehen, bei den anderen fleischverarbeitenden Betrieben haben sich Hunderte von Zerlegern angesteckt. Bei uns – kein Thema“, sagt Schmidt-Krämer und reicht uns auf einem Teller Wurstscheiben mit dem Logo unserer Zeitung.
„Möchten Sie noch ein Scheibchen?“ Wir lehnen dankend ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe