Die Wahrheit: Aaba Aaba und der Kitzelnde
Die Poesie der Namen (II): Ohne Pseudonyme wäre die Welt noch ärmer und um einiges weniger schön. Dafür lassen sich einige Beispiele finden.
„Nenne mir deinen Namen, und ich weiß nicht, wie du heißt!“ Früher galt das vor allem für Autoren und Schauspieler, und nicht immer hatten sie bei der Wahl ihres Künstlernamens ein glückliches Händchen. Tucholsky machte sich 1928 darüber lustig: „Pseudonyme sind da, daß man vor Neid erblassen könnte. Neckische: ‚Hidigeigei‘ und ‚Latschenbock‘ und ‚Kiki‘ und ‚Joachim Friedenthal‘ … nein, das ist wohl kein Pseudonym.“
Heute kann sich jeder einen Alias zulegen. Die taz-Leser, die sich im Internet zu Wort melden, tun das als „Frau Kirschgrün“, „Lesti“ oder „Schnurzelpuh“, spielen die tantenhafte „Isolde“ oder den kumpelhaften „Sachmah“, geben sich als „mowgli“ oder „Machiavelli“ aus, es äußern sich „Pommesrotgrün“, „Leser77“ und „Tom Farmer“ und „Maria Burger“ … aber die werden wohl, anders als „Joachim Friedenthal“, nicht wirklich so heißen.
Für das Versteckspiel gibt es vielerlei Gründe, Spaß, politischer Anspruch und zugleich dessen ironische Brechung, auch Scheu vor Verantwortung und so weiter. Bloß eine Wette gewinnen wollte der Schriftsteller Roda Roda. Man hatte ihn geneckt, dass er viel könne, aber eines nicht: In Kürschners Literaturkalender ganz vorn zu stehen. Roda Roda hielt dagegen, und in der nächsten Ausgabe stand an erster Stelle: „Aaba Aaba, siehe Roda Roda“. Mit doppeltem a, um auf Nummer sicher zu gehen.
Genau genommen war es ein Drittname, weil schon Roda Roda ein Pseudonym ist, eigentlich hieß er Sandór Friedrich Rosenfeld. Gleich vier Decknamen für seine fünf Ichs brauchte Kurt Tucholsky, um seinen vielfältigen Ausstoß nach Form, Stil und Inhalt aufzuteilen, darunter zwei neckische, „Theobald Tiger“ und „Peter Panter“. Mit ihm aufnehmen kann es Hans Magnus Enzensberger aka „Serenus M. Brezengang“ alias Poetiker und Sprachkritiker „Andreas Thalmayr“ beziehungsweise Erotikautorin „Elisabeth Ambras“ und Kinderbuchautorin „Linda Quilt“ plus „Trevisa Buddensiek“ und „Giorgio Pellizzi“ und „Benedikt Pfaff“.
Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Alvaro de Campos
Alle übertrifft Fernando Pessoa, der über 70 Pseudonyme und Heteronyme benutzte – Letzteres die Namen mit erfundener Biografie ausgestatteter fiktiver Gestalten, denen er seine Werke auf den Leib schrieb. „Ich fühle mich vielfältig“, bekannte Pessoa: „Ich bin wie ein Zimmer mit unzähligen, wundersamen Spiegeln, die eine einzige zentrale Wirklichkeit falsch und verzerrt reflektieren“ – ein prophetischer Kommentar zum heutigen Ich-, Identitäts- und Authentizitätsgewurstel. Einem Quatsch übrigens, der doch im Internet, siehe oben, vor aller Augen unbemerkt ad absurdum geführt wird!
Eine Person teilt sich in mehrere auf – das ist das eine; das andere: Mehrere Ichs erschaffen sich ein gemeinsames Ego. Ein altes Germanistenbeispiel sind die 1805 erschienenen „Nachtwachen“ von „Bonaventura“, recte: Ernst August Klingemann und Friedrich Schlegel. Ein neues ist der 2002 auch auf Deutsch erschienene Roman „Q.“ von „Luther Blissett“, Sammelname eines italienischen Kollektivs, dessen Mitglieder anonym blieben. Die Verfasser wollten es so, weil sie die bürgerliche Vorstellung von Autorschaft als individueller Leistung ablehnten. Paradox ist, dass sie dann nicht ihre Einzelnamen nannten, sondern als Verfasser ein leistungsstarkes Individuum vortäuschten, um beim bürgerlichen Publikum kommerziell zu punkten. (Ähnlich das „Unsichtbare Komittee“, das „Der kommende Aufstand“ schrieb.)
Sammelpseudonyme sind im Übrigen nicht selten. Manche Zeitungen halten einen Kunstnamen bereit für Beiträger, die nicht genannt sein wollen; so trieb sich in den achtziger Jahren ein „Joachim Wehrmann“ beim Göttinger Tageblatt herum. Man denke auch an das Kürzel „N.N.“, das für „nomen nescio“ (Ich weiß den Namen nicht) steht, oder an Redeweisen wie „Herr und Frau Soundso“. Im Englischen heißt der Platzhalter „John Doe“, der auch in der Polizeiarbeit für unidentifizierte Leichen gebräuchlich ist.
Schtonk!
Es liegt im Wesen der Pseudonyme, dass nicht alle gelüftet werden können oder sollen. Ein berühmtes ist „B. Traven“. Die verrückteste Theorie kolportierte 1967 der Stern-Reporter Gerd Heidemann, der sich später mit den Hitler-Tagebüchern endgültig blamierte: Danach war B. Traven ein unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. Inzwischen glaubt man es besser zu wissen: B. Traven soll der 1882 in Schwiebus (heute: Świebodzin) geborene Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär Herrmann Albert Otto Max Feige sein, der sich 1918 als Schriftsteller, Theaterschauspieler und anarchistischer Revolutionär „Ret Marut“ (ein Anagramm aus „Der Traum“) nannte und 1924 nach Mexiko emigrierte.
Die Frage bleibt, ob das Bestreben, Pseudonyme aufzudecken, immer am Platz ist. B. Traven wollte es nicht, ebenso wenig jene Italienerin, die als Elena Ferrante eine Romanreihe über den unterschiedlichen Lebensweg zweier Freundinnen aus Neapel geschrieben hat. 2016 lüftete der Journalist Claudio Gatti das Geheimnis: Elena Ferrante ist Anita Raja, die 1956 geborene Tochter der aus Deutschland 1937 geflohenen Jüdin Golda Petzenbaum und des Napolitaners Renato Raja. Unter ihrem bürgerlichen Namen überträgt sie deutsche Literatur ins Italienische. Als Elena Ferrante hatte sie stets betont, dass das Werk wichtiger sei als sein Autor. In der Tat stellt sich die Frage, was mit dem Wissen gewonnen ist: Das Geheimnis ist gelüftet und die Welt um eines ärmer.
Dass sie ohne Pseudonyme auch weniger schön wäre, wissen Autoren schon lange. Johann Fischart (1546–1590) gab sich pompöse Namen wie „Johann Artwisus von Fischmenzweiler“ oder „Huldrich Christ zu Gotstatt bey Bethaven“; Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622–1676) nannte sich „Melchior Sternfels von Fugshaim“ oder „Simon Lenfrisch von Hartenfels“.
Lustige, groteske und alberne Namen gaben sich viele der Schriftsteller und Minderdichter, die sich im 17. Jahrhundert zu Sprachgesellschaften zusammenschlossen: „Der Abtrocknende“ (alias Volkmar Happe), „Der Fortwuchernde“ (eigentlich Franz Erdmann Herzog von Sachsen-Lauenburg), „Der Kitzelnde“ (d. i. Johannes Vogel).
Und wie ist das heute? Das fragt Sie: Sheriff Brummi.
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