Die Wahrheit: Aas zu Aas, Stars zu Stars

Auf dem brennenden Kontinent hat die RTL-Dschungelshow ihr Herz für apokalyptische Nachhaltigkeit entdeckt.

Eine gezeichnete Person in Deutschland-Bikini schwingt sich durch den brennenden Dschungel

Illustration: Burkhard Fritsche

Lange haben wir mit uns gerungen, dann wieder gegeneinander: Können wir das machen? Dahin gehen, wo es brennt, um mit eigenen Augen zu sehen, wie und wo sich Trash-TV vom Restmüll trennen will? Bald stand jedoch fest: Nein, wir können nicht gehen, sondern wir müssen – fliegen.

Mit gesammelten Bonusmeilen und tüchtig Flugscham im Gepäck machten wir uns auf nach Australien. An den Ort, der nicht erst seit Ausbruch der Buschfeuer als blau-rot-gelbe Hölle des Privatfernsehens gilt: Der Redaktionsstützpunkt jenseits der Hängebrücke, am Rande des Dschungelcamps. In den vergangenen 16 Jahren war Journalisten der Zugang zum Baumhaus versperrt gewesen.

Alle Versuche, den genauen Standort des Camps allein anhand des Vorspanns der TV-Sendung zu ermitteln, scheiterten kläglich, bisweilen sogar in Bruchlandungen. Aber 2020 ist das Jahr der großen Veränderungen, nicht nur beim Schreiben des Datums, sondern auch bei RTL.

Der Privatsender, von jeher Vorreiter auf den Gebieten Erwachsenenbildung, Fremdoptimierung und Akronymschöpfung hat schon im Vorfeld der diesjährigen Staffel neue Zeichen gesetzt. Bereits Ende Dezember wurde das bisher Undenkbare verkündet: Bei „Ibes“ („Ich bin ein Star“) werden keine lebenden Tiere mehr verspeist. Auch keine ganz kleinen. Zumindest nicht von invasiven Stars während der Dschungelprüfungen. Und obwohl der große Applaus seitens Peta ausblieb, musste sich ein Millionenpublikum ein paar unbequeme Fragen stellen: Kann ich mir das alles noch mit schlechtem Gewissen anschauen? Oder zumindest im Forum von Spiegel Online kommentieren, dass ich vor Jahren den Fernseher abgeschafft habe, und zwar genau deswegen?

Und woher soll jetzt mein Gänsehautfeeling kommen, wenn die Kakerlaken nicht mehr aus zuckenden Kuchenluken krabbeln können, sondern schon als toter Klump eingeführt werden, um Sekunden später als ebensolcher erbrochen werden? Kurz gesagt: Wie weit will es RTL wirklich treiben mit der Nachhaltigkeit?

Gut durchrecycelt

Kurz nach unserer Landung wird uns klar, dass bei der Produktion radikal umgedacht wurde. So wird unser Einmal-Helikopter wie üblich gegen einen Berghang geflogen, aber dabei sauber abgefilmt: „Das Material kann so noch bei ‚Alarm für Cobra 11‘ genutzt werden“, erklärt uns ein Praktikant, der seinerseits einen gut durchrecycelten Eindruck auf uns macht. Tatsächlich handelt es sich bei ihm um einen der vielen „Zurückgebliebenen“, wie schon benutzte Kandidaten aus früheren Staffeln hier liebevoll genannt werden. Während die Ex-Promis sich bisher im Dickicht oder auf dem Dschungelklo versteckten, werden sie in diesem Jahr zu leichten Arbeiten am Set herangezogen: „Wenn ein Kontinent aufhört zu atmen, fangen wir mit der Inklusion an“, gerät die Aufnahmeleiterin ins Schwärmen.

„Natürlich kann man die nicht mit komplexen Aufgaben betrauen, aber für Budgetberechnung oder die Rechtsabteilung reicht es allemal. Manche schaffen es sogar in den Autorenpool.“ Bei diesem Kreativ-Coworking-Space handelt es sich natürlich um den bekannten Badeteich, in dem bis kurz vor dem Einzug der neuen Tribute noch die Schreiber der Show eingeweicht werden, um uralte Kalauer aus ihnen herauszuschwemmen.

Fast ungekünstelt

So weit alles normal, möchte man denken, wenn da nicht dieser Geruch nach Verbranntem in der Luft liegen würde. Aber noch können wir die Feuerwalze nicht sehen, und wir werden beruhigt: „Es gibt ein Notfallprotokoll für den Fall, dass das Camp geräumt werden muss. Wir sind der Unterhaltung verpflichtet und sorgen dafür, dass bei uns keine Katastrophe eintritt. Wir sind ja hier nicht beim Impro-Tatort!“ Wir dagegen sind unsicher: Sollte die Vorsichtsmaßnahme allein darin bestehen, einen längst deaktivierten Politiker unter die Kandidaten zu mischen? Als wir unsere Bedenken äußern, muss selbst das Moderatorengespann laut und fast ungekünstelt lachen.

„Unsinn!“, werden wir von der Aufnahmeleiterin belehrt, „bei Gefahr werden die Kandidaten einfach umgesiedelt, aber spielerisch. Wir planen einen Massenstart, ganz im olympischen Gedanken unter dem Arbeitstitel: ‚Die Eukalyptus-Apokalypse‘. Wer es schafft, Evelyn Burdecki einen sinnvollen Satz zu entlocken, qualifiziert sich für die Finals und darf ohne Bungeeseil von der Brücke springen. Da können wir bestimmt jede Menge Krokodilstränen fürs Archiv generieren. Für die Überlebenden folgt ein kleiner Spurt zum ehemaligen Anwesen von Doktor Bob, wo ein Wettrauchen mit beliebten Ruinen wie Mario Basler stattfindet. Natürlich wollen wir den Zuschauern auch tolle Landschaftsbilder bieten, und zeigen, dass Australien mehr zu bieten hat als verkohlte Beuteltiere. Bodenschätze, zum Beispiel. Anschließend werden die Finalistinnen im Bikini ins Bergwerk geschickt, um Opale zu sammeln. Okay, das ist ein bisschen fies, da wurde früher Asbest abgebaut. Unsere Geheimfavoritin ist da übrigens Nora, denn die hat 25 Jahre den toxischen Wendler überlebt.“

Goldene Fernsehmomente

Während wir im qualmenden Inferno nach Luft schnappen, redet die Fernsehschaffende ununterbrochen weiter: „Ganz zum Schluss wollen wir dann aber auch ein politisches Statement setzen und für Gleichberechtigung sorgen – mit einer reinen Herrenrunde: Bei der Dschungelprüfung ‚Ringelpiez mit Anpassen‘ wird es am Ende nur einen #MeToosalem geben, und zwar denjenigen, der sich als ältester, weißester Mann durchsetzt und zielsicher nach allem gegrabscht hat, was nicht bei drei auf dem letzten Baum war. Also, wahrscheinlich kommt da keiner durch, daher steht am Ende statt der Krönung eine zeitgemäße Entsorgung: Lebende Maden erweisen den Gefallenen die letzte Ehre. Für Quote brauchst du Tote, Aas zu Aas, Stars zu Stars! Subtil wird dazu ‚The Circle of Life‘ eingedudelt, damit auch endlich alle verstehen, wer der wahre König des Dschungels ist. Natürlich das Publikum. Die müssen dieses Jahr gar nicht für ihre Stars anrufen. Die gesparten Gebühren werden der australischen Feuerwehr gespendet. Weltfrieden! Zumindest für den Teil, der noch übrig ist. Goldene Fernsehmomente, Gänsehaut, Bravo!“

Beim letzten Satz der Aufnahmeleiterin entflammt ihre Zunge, derweil züngeln die Flammen ums Camp. Aus dem Autorenpool schallt es noch: „Ich bin ein Narr, holt mich hier raus!“, aber als Teil eines Teams weiß man: Ab hier jeder für sich.

Manchmal, denken wir, während wir auf den Schultern des Dschungelkriegsveteranen Thorsten Legat ins Inferno reiten, ist es einfach, Gutes zu tun. Man muss nur alte Gewohnheiten loslassen und laut sagen: „Bis hierhin und nicht weiter!“ Zum Beispiel, wenn man gefragt wird, ob man wirklich dahin muss, wo es brennt.

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