Die Wahrheit: Noch mehr Gespräche mit Rechten
Und weiter geht's mit den Fernsehjournalisten, die rechte Politiker mit kunstvoller Psychologie demaskieren wollen und sich doch nur selbst entlarven.
Mist: Schon wieder knapp 25 Prozent bei einer Landtagswahl! Da versuchen Maischberger, Will, Plasberg, Illner und Lanz seit Jahren im Schweiße ihres Sitzfleisches die AfD und ihre Wähler mit einer nicht enden wollenden öffentlichen Gesprächstherapie von ihren Gebrechen zu heilen – und dann so was!
Die TV-Moderatoren wenden, ebenso wie viele Politiker in sogenannten Bürgergesprächen, das klassische psychoanalytische Konzept der „freien Assoziation“ an, bei dem man den Patienten unkommentiert vor sich hinreden lässt – egal ob das Gesagte „unpassend, sittenwidrig oder sinnlos“ erscheint. Man hofft, so Zugang zum Unbewussten zu finden, um die dort verborgenen Traumata heilen zu können.
Aber immer öfter machen die Patienten dicht. Statt ihre echten, tiefen Gefühle zu zeigen, beleidigen sie lediglich lustlos Flüchtlinge, kritisieren halberigiert den Islam, nölen pflichtschuldigst über Merkels „Gesetzesbruch“ und bezeichnen sich ironisch als „bürgerliche“ Partei. Es ist klar, hier kann nur die Kunsttherapie helfen, die noch mal in ganz andere Gehirnareale vorstößt.
So sollten flächendeckend – unter dem Label „Bitterfelder Sackgasse“ – Schreib-Workshops veranstaltet werden. Ideal wären Creative-Writing-Übungen, bei denen den Patienten Geschichtenanfänge vorgelegt werden mit der Aufgabe, die Storys weiterzuspinnen: „Es war der Morgen nach dem großen Sieg. Höcke, Kalbitz, Tillschneider und Weidel erhoben ihre nackten, durchtrainierten Körper vom kalten Steinfußboden des Ballsaales, in dem sie das Wahlergebnis von 98,8 Prozent gefeiert hatten, und traten hinaus auf den Balkon. Das wartende Volk eruptierte. Höcke öffnete den Mund und …“ Man spürt sofort, welch kathartische Wirkung eine solche Geschichte entwickeln könnte.
Sehr nützlich für diese Zwecke ist auch das „Clustering“ nach Gabriel L. Rico. Hier könnte die Übung heißen: „Schreib in die Mitte eines großen Blattes das Wort ‚Jude‘, umkreise es und dann lasse die Gedanken fließen. Was fällt dir dazu ein? Jeder neue Gedanke wird wieder umkreist und mit dem vorhergehenden Gedanken durch einen Strich verbunden.“
Oder das freie Schreiben nach Bildern. Dabei werden den Patienten Fotos – in dem Fall idealerweise von Orientalen und Afrikanern – vorgelegt und sie dürfen einen Text dazu entwickeln. Diese Methode benutzt zum Beispiel Boris Palmer seit Jahren in der Selbsttherapie, und er hat dabei schon Erstaunliches aus dem Kartoffelkeller seiner Seele ans Tageslicht befördert.
Ich bin mir sicher, mit solch kreativen Ansätzen – und mit satellitenschüsselgroßen Ohren, mit denen wir dem Volk weiter zuhören, zuhören, zuhören! – werden wir es schaffen, dass die Nazis sich endlich ernstgenommen fühlen, ihre Herzen öffnen und so die Freiheit spüren, sich ändern zu dürfen.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
mowgli
Will sich Hartmut El Kurdi mit diesem Text etwa bei einer großen deutschen Krankenkasse bewerben? Ich meine: Das Modell, das er hier propagiert, propagieren die Kassen doch auch, oder nicht? Und zwar nicht erst seit heute.
Sie sparen auf Teufel komm raus. Vor allem an der Prävention. Hat das Konsequenzen, erhöhen sie einfach die Beiträge, damit die zusätzlich entstandenen Probleme besser verwaltet werden können. Den Medizinern aber bezahlen sie zum Ausgleich für die vielen Misserfolge immer mehr immer teurere technische Spielzeuge.
Wie dem auch sei. Mit einer bestimmten Hautfarbe wird man geboren. Mit einer bestimmten politischen Einstellung nicht. Damit aus süßen kleinen Hosenscheißern große böse Nazis werden, braucht es schon etwas mehr als ein paar Chromosomen. Hier hätte Prävention ansetzen können – wenn wir nicht in Deutschland bzw. im alten Europa wären.
Wir sind, wo wir sind. Wir haben das Personal, das wir haben. Mit dem „Hintergrund“ (oder besser Background, wir reden ja nicht von Migranten), den das Personal nun mal hat – und der noch gefördert wird von „den Strukturen“. Maischberger, Will, Plasberg, Illner und Lanz haben bloß eine Chance genutzt, die ihnen Deutschland gegeben hat. Hätten sie‘s nicht getan, würden sich heute andere „im Schweiße ihres Sitzfleisches“ als öffentlich praktizierende Psychotherapeuten zu profilieren versuchen. Was schief gehen kann, geht halt schief.
Ich verstehe den Frust Hartmut El Kurdis. Wenn sich ein privater Spleen erst mal zum Machtfaktor ausgewachsen hat, ist es zu spät für die Therapie. Dann will der Verrückte nämlich nicht mehr therapiert werden. Er leidet ja nicht. Er genießt seinen Wahn. Das öffentlich sichtbar gemacht zu haben, ist ein Verdienst von Leuten, die Talkshows nicht ernst nehmen, sondern als Spielwiese für ihre Egos begreifen. Ob die Erkenntnis nun aber was hilft…?
Carine Salazar
@mowgli Sehr gut analysiert. Es gab auch mal eine Zeit, in der man das Christentum hätter verhindern können, aber die Vernunft hat versagt und dann hat die Machtgier entschieden.
de.wikipedia.org/wiki/Kelsos