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Die WahrheitIm dunklen Keller mit Olli Kahn

Noch echter als echter Fußball: Die soeben erschienene neue Version „FIFA20“ der Kickvideospielreihe ist realistisch wie nie zuvor.

Der über allem schwebende Flügelstürmer Eden Hazard: noch Real oder schon Virtuell Madrid? Foto: ap

Wie immer, wenn der Herbst beginnt, ziehen Tausende junge Frauen schluchzend durch die nasskalten, laubbedeckten Straßen der tristen Republik. Mit dem Wetter hat das allerdings nichts zu tun. Es ist keine jahreszeitenbedingte Depression, die jene armen Teufelinnen heimsucht. Sie alle wurden von ihren Lebensabschnittsgefährten vernachlässigt oder gar komplett vergessen. Schuld hat ein schnödes Videospiel: Wie immer im Oktober ist die neueste Version der Fußballsimulation „FIFA“ erschienen. In diesem Jahr also „FIFA20“.

Doch auch Frauen zocken, und auch sie tauschen ihren Freund gegen die virtuelle Fußballkarriere ein. „Korinna ist kaum noch ansprechbar, seit das dämliche Spiel auf dem Markt ist“, konstatiert Emir, der sich mit seinem Problem an die Redaktion gewandt hat und sich im Gegensatz zu seiner Freundin weder für echten noch virtuellen Fußball interessiert. Seit drei Jahren sind die beiden ein Paar. „Das war die letzten Male auch schon so. Sobald der Scheiß installiert ist, gibt es nichts anderes mehr. Sie kommt von der Arbeit nach Hause und setzt sich sofort an die Konsole. In den ersten Wochen ist es extrem, da schläft sie sogar manchmal auf dem Sofa.“

Woran liegt es, dass dieses Spiel dermaßen viele Beziehungen belastet? Ist das denn nicht jedes Jahr dasselbe? Fußball bleibt doch Fußball, sollte man meinen. Aber so einfach ist es nicht.

Mit jedem neuen Teil der Reihe überlegen sich die Entwickler, wie sie dem altbekannten Gekicke neue Facetten hinzufügen können, um ihre Kunden am Haken zu halten. So gibt es seit diesem Jahr beispielsweise die Möglichkeit, nicht nur klassisch im Stadion auf Rasen zu spielen, sondern auch an ausgefalleneren Orten: in Käfigen, auf Hochhausdächern, aber auch in der Wurstfabrik von Uli Hoeneß, auf der Baumwollplantage von Clemens Tönnies oder in Oliver Kahns Sadomaso-Keller. Mit viel Liebe zum Detail und äußerst realitätsnah wurden diese Locations modelliert. Wer schon mal zu einer der berüchtigten Kahn-Partys eingeladen war, kann das bezeugen.

Gamer winken, Gamer stinken

Es ist dieser Realismus, der das Spiel so einzigartig macht. Von Kalender zu Kalender soll das Erlebnis noch näher an die Wirklichkeit rücken. Eines Tages wird die Simulation nicht mehr von einer tatsächlichen Partie zu unterscheiden sein. Die Gamer sollen irgendwann genau wie ihre Idole nach Schweiß stinken, sich Verletzungen zuziehen und von Fans bespuckt werden können. Mit der neuesten Version ist man diesem Ziel einen Riesenschritt nähergekommen.

So überzeugt beispielsweise die neueste Überarbeitung des Karrieremodus. In diesem kann man als gänzlich unbekanntes Nachwuchstalent anfangen und sich durch hartes Training hocharbeiten. Wer gut genug ist, schafft es nicht nur in die Millionen scheffelnde Profiabteilung, sondern wird womöglich einer der ganz großen Steuerhinterzieher. Neuerdings geht die Simulation sogar über die sportliche Karriere hinaus: Sind die Fußballschuhe erst mal an den Nagel gehängt, kann man virtuell ein BWL-Studium abschließen und anschließend in die Funktionärsriege aufsteigen.

Im letzten Level gilt es dann, in die „FIFA“-Ethikkommission zu gelangen, sich für die WM-Vergabe schmieren zu lassen und hernach gemütlich mit ­Gianni Infantino die Nase zu pudern. Aber Vorsicht: Wer es übertreibt, muss mit dem Groll der Fußballfans rechnen – die boykottieren den Sport samt der hohen Ticketpreise nämlich irgendwann, wenn man sich zu oft beim quasimafiösen Treiben erwischen lässt. Das war natürlich nur ein Scherz, die schmeißen dem Weltfußballverband weiterhin das Geld in den Rachen. Das Spiel ist, wie gesagt, sehr nah an der Realität.

Wer keine eigene Fußballkarriere aufbauen will, kann aber freilich weiterhin seine Lieblingsspieler steuern. Auch weibliche Fußballstars stehen seit einigen Jahren zur Verfügung. Besonders beliebt sind Cathy Hummels und Sophia Thomalla.

CR7 jetzt auch mit Sonderfunktion

Bei den Männern gilt selbstverständlich nach wie vor Cristiano Ronaldo als Fußballgott schlechthin. Auch bei ihm haben sich die „FIFA“-Macher tolle Innovationen ausgedacht. Nicht nur kann man mit seiner unnachahmlichen Freistoßtechnik Bälle über die Mauer am Keeper vorbei in den Winkel schlenzen. Auch abseits des Platzes lassen sich nun in der Rolle des Superkickers Vergewaltigungsvorwürfe leugnen und Steuertricks anwenden. Wer glaubt, dafür nicht gewieft genug zu sein, kann beruhigt ins Spiel starten. Auch hier gilt: Man kann es eigentlich gar nicht zu weit treiben, die Anhänger verzeihen am Ende alles, wenn man nur das eigene Team im nächsten Spiel zum Sieg schießt.

Damit bei all dem Spaß aber nicht vergessen wird, dass es der Fifa wie auch beim Spiel „FIFA20“ vor allem um Geld geht, gibt es zahlreiche Angebote für In-App-Käufe, die es einem erlauben, das Spiel gar nicht spielen zu müssen, sondern sich die Erfolge einfach direkt zu kaufen. Auch das zeigt sich erstaunlich nah am echten Leben.

Besonders hervorzuheben ist letztlich die erstmals mögliche individuelle Gestaltung der Kicker: Für wenig Geld kann man den Mannen schöne Schuhe oder richtige Proleten-Tattoos hinzufügen. Toll! Nur eines bleibt den Zockern bislang verwehrt: Die Frisur von Bundestrainer Jogi Löw lässt sich leider nicht bearbeiten. Aber auch das werden die Entwickler in den nächsten Jahren bestimmt noch hinbekommen.

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