Die Wahrheit: Blutjunge Wirtschaftswunderleute
Wenn die „SZ“ eine Klimaaktivistin am Wickel hat, trifft antilinke Position auf Dyskalkulie und blinde Staatsgewalt auf Geschichtsvergessenheit.
I n einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht die 22-jährige Klimaaktivistin Cornelia Wockel über zivilen Ungehorsam. Was sie äußert, hat Hand und Fuß, sie ist ein Supertyp, auf jeden Fall, genau solche Menschen braucht das Land.
Auch der Interviewer ist gut; brillant sein Kniff, manche Fragen aus einer ostentativ antilinken Position heraus zu stellen wie zum Beispiel: „Die Gewalt bei großen Demos geht aber doch eher selten von der Polizei aus.“
Gerade erst haben Polizisten einem Besetzer in Garzweiler ohne jede Not den Schädel eingeschlagen. Doch gewiss steckt hinter dem vordergründig reaktionären Gelaber in Wahrheit die schlaue journalistische Praxis, die typischen Fragen besonders schlecht informierter Lesergruppen im Geiste vorwegzunehmen, scheinbar naiv an deren Statt zu formulieren und auf diese Weise mit beantworten zu lassen. Sich also – Hut ab vor soviel Mut und Selbstlosigkeit! – ganz uneitel dumm zu stellen und damit die eigene Intelligenz und Haltung im Dienste der vierten Gewalt bewusst zu diskreditieren. Jedenfalls hoffe ich, dass es ein Kniff ist.
Interessant liest sich wiederum Cornelia Wockels steile Generationenanalyse: „Was mir aber speziell bei Menschen ab 50 Jahren auffällt: Weil sie das Wirtschaftswunder direkt mitbekommen haben, verteidigen sie das System vorbehaltlos …“
Aufschwung seit 1943
Tja, die Fünfzigjährigen und das Wirtschaftswunder: ein Kapitel für sich. Echter Bohnenkaffee, ein Fernsehgerät in jedem Wohnzimmer und die gute Butter. Im Grunde wurde der Grundstein für den Aufschwung schon in Stalingrad gelegt. Diejenigen von uns Babyboomern, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten, verwundet und traumatisiert, mussten dennoch gleich wieder richtig ranklotzen. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran.
Denn für den Wiederbau waren wir seinerzeit unverzichtbar. Wir Knaben hatten immerhin „Werken“ in der Schule und die Mädchen konnten nähen. Englisch war Hauptfach geworden. Mit unseren vergleichsweise annehmbaren Sprachkenntnissen waren wir besser als die Hundertjährigen in der Lage, mit den Alliierten zu kommunizieren. Unsere Computerkenntnisse waren ihrer Zeit sogar weit voraus: Ohne die heute Fünfzigjährigen wäre die Mondlandung undenkbar gewesen. Und eines muss man ja auch ganz deutlich sagen: Nur wer Hitler noch selbst erlebt hat, kann glaubhaft vor den Gefahren des Nationalsozialismus warnen. Da können wir uns natürlich nicht obendrein noch um das Klima kümmern.
Die Wirtschaftswundergeneration der Fünfzigjährigen ist auch heute kaum aus der Wirtschaft wegzudenken. Ihr großes Plus sind Erfahrung, hohe Frustrationstoleranz sowie Nerven aus Stahl. Denn wer das Aussterben der Dinosaurier und den Abstieg des HSV noch persönlich miterlebt hat, der zuckt nur müde mit den Achseln, wenn mal wieder ein Start-up den Bach runtergeht – denn wo Millenials rechnen, ist die Pleite stets nah.
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